: Eine Anleitung zum Zurückgucken
Ein geführter Stadtspaziergang zeigt die sichere Seite der West-City. Videokameras verfolgen die Gruppe rund um den Ku’damm. Und im Bahnhof Zoo geben die Wachschützer eine themenbezogene Einlage und schmeißen die Besucher raus
von SUSANNE AMANN
Die rote Schrift leuchtet einsam im Halbdunkel: Bitte einzeln eintreten. Die schwarz-gelbe Stufe zu einer schmalen Tür markiert den Eingang zu einem der 24 atomsicheren Bunker, die es derzeit in Berlin noch gibt. Der kurze Einblick in das umgebaute Untergeschoss eines Parkhauses am Kurfürstendamm ist die erst Station des neuen Stadtrundgangs „Safer City – Die sichere Seite des Kurfürstendamms“, den das Reisebüro Stattreisen seit Anfang Oktober anbietet.
„Wir wollen uns in die aktuellen Diskussion um sicherheitspolitische Fragen einbringen“, erklärt Paul Gronert, der die Premiere leitet, „und mit unserem Rundgang bestimmte Sicherheitsaspekte thematisieren und Positionen hinterfragen.“ Der Rundgang besichtigt exemplarische Orte zwischen Ku’damm, Bahnhof Zoo und Breitscheidplatz, die im Spannungsfeld zwischen vorhandenem Sicherheitsbedürfnis, subjektivem Empfinden von Sicherheit und realer Gefährdung liegen.
Eine Station ist das jüdische Gemeindehaus in der Fasanenstraße. Die Gruppe bleibt auf der gegenüberliegenden Straßenseite stehen. Größere Ansammlungen direkt vor dem Gemeindehaus sind unerwünscht. Zwei rundliche Polizeibeamte stehen vor dem Zaun und beobachten die Straße. Sicherheitsschleuse, Polizeischutz und Kameraüberwachung verdeutlichen das Dilemma der eigentlich öffentlichen Einrichtung: Trotz der für Besucher geöffneten Bibliothek und der jüdischen Volkshochschule wirkt das abgeschirmte Gebäude nicht besonders einladend. Doch andauernde Drohungen machen die Maßnahmen notwendig. „Ein Ort“, so Gronert, „an dem das Sicherheitsbedürfnis greifbar wird.“
Ob mit Videokameras und privaten Wachschützern und verdachtsunabhängigen Kontrollen wirklich Gefahr gebannt werden kann, bleibt fraglich. Und wann, so die Frage Gronerts, stehen suggerierte Sicherheit und kommerzielle Interessen im Vordergrund?
Ein paar Schritte weiter befindet sich das Gebäude der Industrie- und Handelskammer: Mitarbeiter privater Sicherheitsdienste werden hier ausgebildet. In nur drei Tagen sollen sie alles über Recht und Ordnung, das Bürgerliche Gesetzbuch, Strafrecht, Unfallverhütung und den Umgang mit Menschen und Waffen lernen. Ein polizeiliches Führungszeugnis ist dafür nicht notwendig.
Private Sicherheitsdienste gehören in Deutschland zu dem Wirtschaftssektor, der in den letzten Jahren die höchsten Wachstumsraten hatte und immer noch hat. Einer der größten Wachdienste ist die Bahnschutzgesellschaft (BSG), eine hundertprozentige Tochter der Deutschen Bahn AG. Fast wie bestellt demonstrieren ihre Mitarbeiter den Teilnehmern des Spaziergangs im Bahnhof Zoo ihre Arbeitsweise. In der Bahnhofshalle lässt sich Stadtführer Gronert zunächst über Sinn und Unsinn der angebrachten Kameras aus. „Sie können davon ausgehen, dass wir schon beobachtet werden“, betont Gronert noch die Verdächtigkeit großer Ansammlungen. Schon steht auch der erste Bahnhofswächter im Hintergrund. Einige Minuten später sind es zwei, und sie machen auch gleich von ihrem Hausrecht Gebrauch: Die ganze Gruppe wird hinauskomplimentiert.
Vom Bahnhof Zoo aus geht es weiter, über den Hardenbergplatz, Breitscheidplatz und Europa-Center. Lückenlose Kameraüberwachung, verdachtsunabhängige Kontrollen, Verdrängung sozialer Realität: So unterschiedlich die Örtlichkeiten, so vielfältig das Themenspektrum zum Thema Sicherheit.
Nach zweieinhalb Stunden nähert sich der Rundgang seinem Ende und lässt bei den Teilnehmern den suchenden Blick nach den versteckten Kameras zurück, deren häufige Existenz vorher selten wahrgenommen wurde. Bei dem Gedanken an die fast lückenlose Videoüberwachung stimmt nur die Erinnerung an eine Station des Rundgangs tröstlich: „Urinieren verboten“, heißt es auf einem Schild des Bundesverwaltungsgerichts, das den gusseisernen Zaun retten soll, der durch die andauernde Säureberieselung schon brüchig geworden ist. Die extra angebrachten Videokameras sind allerdings falsch ausgerichtet, und der Geruch macht deutlich, dass der Abschreckungseffekt verhältnismäßig gering zu sein scheint.
Der Stadtspaziergang „Safer City – Die sichere Seite des Kurfürstendamms“ findet alle zwei Wochen sonntags um 14 Uhr statt und kostet 15 Mark (ermäßigt 12 Mark). Nächster Termin ist am 22. Oktober. Start vor dem Ku’damm-Karree, Kurfürstendamm 207–208
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