: Aktien weiter auf Tauchgang
Ob Mauscheleien am Neuen Markt oder Kursverfall der T-Aktie: Aktienbesitzer denken plötzlich wieder über Risiken nach. Jahrestiefststände bei Dax und Nemax
BERLIN taz ■ Wer schon mal Aktien gekauft hat, weiß: Am Anfang steht das obligatorische Beratungsgespräch mit einem Banker. „Sind Sie sich bewusst, dass Sie ihr gesamtes Geld verlieren können?“ Kopfnicken, jaja. Ähnlich aufmerksam zugehört wie der Stewardess, die vor jedem Flug erklärt, wo die Notausgänge sind – und dann Aktien gekauft.
So manch ein Aktionär dürfte sich dieser Tage wieder an sein Börsen-Einstands-Gespräch erinnern. „Brother Chris“ zum Beispiel: „Micron Technologies von 2 Brokern beim Kursziel 50 Prozent nach unten revidiert!!“, jammert er im Chatforum der Börsenplattform Wallstreet-online. Unter den vielen tausend Börsianern, die sich im Netz (www.wallstreet-online.de) über Erfolge und Misserfolge austauschen, herrscht Katerstimmung.
Gestern Nachmittag sank der Dax auf sein Jahrestief von 6.345 Punkten, angeblich weil die neuesten US-Verbraucherpreise höher ausgefallen waren als erwartet und das die Angst vor Inflation schürt. Der Neue-Markt-Index Nemax 50 erreichte mit 4.042 Zählern ebenfalls einen neuen Minusrekord für das Jahr 2000 – beim Maximum im März stand er über 9.000 Punkte.
Längst vorbei ist die Zeit, als fast jeder Börsengang, der mit Biotech oder Telekommunikation zu tun hatte, zum Renner wurde. Noch im Frühling kauften Anleger Aktien, ohne sich dafür zu interessieren, wie denn ihr Unternehmen je Gewinn machen sollte. Das rächt sich jetzt. Immer häufiger ist von faulen Praktiken am Neuen Markt die Rede: Vorstandsmitglieder veröffentlichen schöngerechnete Bilanzen, nachdem sie ihre besten Freunde noch schnell mit eigenen Aktien eingedeckt haben. Broker lassen sich dafür bezahlen, dass sie schlechte Aktien zum Kauf empfehlen.
Hinzu kommt, dass die eben noch als Boombranche bejubelte Telekommunikation kriselt. Bestes Beispiel ist die Telekom-Aktie: Im März lag deren Wert bei 104 Euro – inzwischen sank er auf knapp über 35 Euro. Der harte Kampf um die Kunden, milliardenschwere Übernahmen und die teuren UMTS-Lizenzen ließen den Schuldenberg des Konzerns wachsen – bis Ende des Jahres auf rund 68 Milliarden Euro, schätzen Analysten.
Nicht nur das macht die T-Aktien unattraktiv. Auch dass das Unternehmen künftig mehr für seine Kredite zahlen muss, trägt zum Kursverfall bei. Denn wegen der hohen finanziellen Belastungen sind die Rating-Agenturen bereits dabei, die Telekom in ihrer Bonität nach unten zu stufen. Die Volksaktie hat die vielen „kleinen“ Anleger aus ihrem Wolkenkuckucksheim heruntergeholt. K. KOUFEN/B. DRIBBUSCH
kommentar SEITE 11
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen