: „Russland hält den Krieg nicht aus“
Der tschetschenische Duma-Abgeordnete Aslambek Aslachanow glaubt, dass der Kreml ein Ende des Krieges im Kaukasus will. Dem jedoch steht das Militär gegenüber, das, jeder Kontrolle entzogen, als Nutznießer kein Interesse am Frieden hat
Interview KLAUS-HELGE DONATH
taz: Sie waren bei Wladimir Putin. Weiß der Oberkommandierende der Streitkräfte Bescheid, welche Gräueltaten seine Armee in Tschetschenien verübt ?
Aslambek Aslachanow: Putin ist ziemlich genau im Bilde. Dennoch wollte er von mir hören, was dort passiert. Emotionen hat er nicht gezeigt. Ich hatte aber den Eindruck, er meint es ehrlich und will Ordnung schaffen. Seinen Auftrag haben wir erledigt und Vorschläge zur Entspannung der Lage erarbeitet.
Ihre Landsleute glauben, der Kreml will gar keine schnelle Lösung, sondern eine Endlösung, die die Tschetschenen als Volk langsam auslöscht ...
Die Vorstellung, alles werde bewusst gedeckt und Putin ... nein, das ist grauenhaft. Es gäbe keinen Grund, noch einen Moment in diesem Land zu bleiben. Die oberen Etagen der Macht kennen die Lage bestens, wie ihre Vertreter vor Ort. Sie wollen ein Ende des Mordens. Jeder versteht, die Armee muss abziehen, will man die Bevölkerung für sich gewinnen. Ihnen ist auch klar: Weder Russlands Haushalt noch die Psyche halten diesen Krieg auf Dauer aus.
Wer hält sie auf, was hindert sie, eine Lösung zu finden ?
Die Herrschaft der Militärs hat sich verselbständigt. Nicht einmal im Militär ist die Befehlsstruktur intakt. Die Offiziere entscheiden nach eigenem Gutdünken und ihren materiellen Interessen. Nach außen verkaufen sie die Notwendigkeit ihrer Präsenz mit der Drohung: Ziehen wir ab, kehren die Banditen zurück und behaupten, Russland hätte den Krieg wieder verloren.
Neben tschetschenischen nun auch russische Warlords?
Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass die Armee mit allem, was nicht niet- und nagelfest ist, gestohlenen Buntmetallen und illegal abgezapftem Öl, einen schwunghaften Handel treibt. Natürlich haben Militärs, die so das Zigfache ihres Soldes verdienen, kein Interesse an Frieden und geordneten Verhältnissen. Nachts nehmen sie wahllos Leute fest, um von den Verwandten Lösegeld zu erpressen. Wir befürworten härteste Maßnahmen, um die Putin’sche „Diktatur des Gesetzes“ durchzusetzen.
Wenn Sie sich an die Strafverfolgungsbehörden wenden, wie reagieren die?
Mit der föderalen Staatsanwaltschaft gibt es keine Zusammenarbeit. Letztes Jahr habe ich massenhafte Menschenrechtsverletzungen angeklagt, jedoch nie eine Antwort erhalten. Inzwischen sind Tschetschenen zur Handelsware geworden. Bürokraten verdienen sich mit uns etwas dazu. Sie nehmen Tschetschenen fest, jubeln ihnen Waffen und Drogen unter, erheben Anklage und bieten sie dann der Familie zum Freikauf an.
Kann der von Moskau lancierte Verwaltungschef Achmed Kadyrow etwas ausrichten?
Er ist machtlos und daran wird sich nichts ändern. Sonst hätte Moskau nicht gleichzeitig seinen Gegenspieler Beslan Gantemirow gestützt. Beide sind sich spinnefeind. Das Schauspiel sollte unser Volk diskreditieren. Dass die Armee Kadyrows Dorf „säuberte“, nachdem er sein Heimatdorf gerade verlassen hatte, sagt das nicht genug aus ...?
Moskau lehnt Gespräche mit der anderen Seite kategorisch ab. Wie stehen Sie dazu?
Wer einen langen Partisanenkrieg verhindern und Frieden schaffen will, muss sich mit allen an einen Tisch setzen, auch mit Präsident Maschadow.
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