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tod im rübenfeld

von KATHRIN PASSIG

Als ich am Sonntagabend auf dem Hof ankomme, gibt es als Erstes ein stattliches Mehrkomponentenessen mit Kürbissuppe und ohne Tiefkühlpizza. Beim Öffnen einer Bügelflasche klemme ich mir böse den Finger.

„Ah, du studierst jetzt wieder“, sagt mein Bruder. Dann wird uns eine ausführliche Schulung im Rübenrupfen zuteil, und bevor wir nicht mit achtzigprozentiger Trefferquote unter vier Karten die Umbellifere vom Ball, der Pfeife und dem Entchen unterscheiden können, dürfen wir nicht aufs Feld. Am nächsten Morgen stehen wir auf, als es noch dunkel ist, frühstücken frierend, ziehen viele Schichten Kleidung an und stapfen mit Gummistiefeln und Messern aufs Rübenfeld hinaus. Nein, das ist gelogen, in Wirklichkeit fahren wir mit dem Auto, obwohl es zu Fuß auch nur zehn Minuten sind. Zwischen sehr viel Unkraut stehen im Schlamm ab und zu Rüben. Die Löcher, die sie hinterlassen, füllen sich sofort mit Wasser und dicken, nassen Feldmäusen. Man hat die Wahl zwischen Rückenschmerzen und Beinschmerzen, und wer es ganz abwechslungsreich haben möchte, kann sich mit dem Grünzeugmesser in den Finger schneiden.

Nathalie äußert die feine Lebensweisheit: „Vor zwanzig Jahren war alles besser, außer Fleece. Fleece ist jetzt besser.“ Dann bringt sie mir den französischen Ausdruck „den Großvater auf den Dachboden schicken“ für das geräuschvolle Rotzhochziehen bei. Kurz vor der Mittagspause gelingt es Ari, beide Schlepper sowie einen Anhänger bis zu den Achsen im Schlamm zu versenken. Genau in diesem Moment kommt Fiona vorbei, um uns zu sagen, dass es bald Essen gibt, und ein schwungvoller Ehestreit entsteht, der in den nächsten 24 Stunden noch zahlreiche Male recycelt wird, wie es sich für den ökologischen Landbau gehört. Später gelingt es wohlmeinenden Nachbarn, den Fuhrpark mit viel Getue dem Acker wieder zu entreißen, was den beteiligten Männern große Befriedigung verschafft.

Mein Onkel Franz reist an beiden Tagen extra in seinem großen Auto hundert Kilometer weit zur Erntehilfe an, was in der Bioland-Ökobilanz vermutlich nicht berücksichtigt werden wird. Als er sich über die Arbeit beklagt, versichere ich ihm, dass es sich dabei um eine authentische und wichtige Erfahrung handelt. „Ja, aber nach einer halben Stunde weiß man schon alles“, wendet er ein. Ich reiße die Rüben aus und werfe sie an den Feldrand, wo sie von meiner Schwester entgrätet und sortiert werden. Dabei intonieren wir Sklavengesänge: „Jump down, turn around, pick a bale of carrots“ und „Hejo, reiß die Rüben aus, denn der Wind treibt Rüben übers Land“.

Am Ende sind zwar noch ein paar Quadratmeter Rüben übrig, aber im Großen und Ganzen haben wir uns in zwei Tagen durch das eher kleine Feld gearbeitet. Hoch auf dem Rübenwagen fahren wir zurück und blicken verachtungsvoll auf die Stubenhocker und arbeitsscheuen Studenten herab, denen wir begegnen. Der Vollmond geht riesengroß und gelb hinter Strommasten auf. Jetzt ist die Rübenernte zu Ende.

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