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Rin in die Kartoffeln, raus aus die . . .

In anstrengender Bückhaltung schmutzige Knollen aus der Erde sammeln – das war die sportliche Aktivität während der Kartoffelferien. Heute gibt es diese nicht mehr, es sei denn freiwillig. Als Event auf dem Biobauernhof in den Herbstferien

Nichts schmecktnach dem Klaubenbesser als warmevon außen schwarzverkohlte Kartoffeln

von MAIKE RADEMAKER

Bauer Dümmer aus Oberwolfert schlug mindestens drei Fliegen mit einer Klappe, als er in den siebziger Jahren die Kölner Stadtkinder auf seine Kartoffelfelder mitnahm. Zum einen rannten die dann nicht, wie sonst am Wochenende, in seinen Ställen rum, störten das Vieh oder schlugen sich den Kopf auf. Zum zweiten waren seine Kartoffeln eine Spur schneller aus dem Boden. Und zum dritten gaben die fremden Kinder die sauer verdienten Groschen für Süßigkeiten aus – und zwar in seinem kleinen Gemischtwarenladen.

Die Einladung an sämtliche Dorfkinder zur Kartoffelernte erging spätestens im September, wenn es in der Hocheifel schon kühler wird. Nur wenige Jahre zuvor, in den 60gern, waren solche Aufforderungen keine Einladung, sondern eine Notwendigkeit: Im Herbst wurde die Schulen für die „Kartoffelferien“, heute Herbstferien genannt, geschlossen, um mehr Hände zu haben, die bei der Ernte halfen. Dieses Bild ist selten geworden, seit Vollernter, vierreihig, selbstfahrend und mit Computersteuerung den Job übernehmen. Nur noch auf den kleineren Feldern sieht man heute im Spätsommer Erwachsene, manchmal noch Kinder, in einer anstrengenden Bückhaltung die Reihen abgehen, um die vorher gelockerten Knollen herauszusammeln. Das Sammeln per Hand geht ins Kreuz, führt zu vermatschten Hosen und wird am besten durch ein Kartoffelfeuer entschädigt, bei dem sie frisch ins Feuer gelegt werden: Nichts schmeckt besser, als von außen schwarz verkohlte Kartoffeln mit dreckigen Fingern aufzubrechen, um das Innere, goldgelb, mit Salz und Butter auszulöffeln.

Der vor wenigen Jahrzehnten noch selbstverständliche Ruf auf die Felder ist mittlerweile so vielen fremd, dass sich die Ernte schon wieder als Ferienevent vermarkten lässt. Auf dem niedersächsischen Biolandbetrieb von Heinz Knefelkamp dürfen die Gäste mitpflanzen, miternten und auch mal die Sortiermaschine bedienen. „Mittlerweile haben die Menschen soviel Abstand von allem Ursprünglichen, dass sie gerne mithelfen“ begründet Knefelkamp das Interesse seiner Gäste an „Granola“.

Die „Arbeitsgemeinschaft Urlaub und Freizeit auf dem Lande“ hat in ihrem Angebot mehrer Bauernhöfe, wo Gäste nicht nur mitarbeiten dürfen, sondern auch Kartoffelschnaps probieren, Kartoffelfeuer machen, Kartoffelkuchen bekommen und natürlich am Ende Kartoffeln nach Hause mitnehmen. In Russland, einem der Hauptanbaugebiete weltweit für die Kartoffel, würde man sich über solche Ferienbegehren wohl eher wundern: Im September erhielten 10.000 russische Soldaten den Marschbefehl auf die Kartoffelfelder, um bei der Ernte zu helfen, von freiwillig war da nicht die Rede.

Weltweit viertwichtigstes Nahrungsmittel ist die Kartoffel heute. 290 Millionen Tonnen werden alljährlich geerntet, 5.000 Sorten gibt es – 160 davon werden in Deutschland angebaut, darunter so anerkannte, knubbelige Köstlichkeiten wie die „Bamberger Hörnchen“ oder Stärkekartoffeln, die nicht mehr im heimischen Kochtopf, sondern in der Verarbeitungsindustrie landen. Schließlich wird Kartoffelstärke zur Herstellung von Papier, Pappe und als Grundstoff für die pharmazeutische Industrie verwendet. Selbst als Plastikersatz blüht „Adretta“, „Desiree“; „Arnika“ und „Hansa“ eine Zukunft. Eine rasante Entwicklung für die aus Chile stammende Kartoffel, deren Anbau Friedrich der Große um 1770 noch befehlen musste. Zwar waren Kartoffeln – die ihren Namen von dem italienischen „tartufo“ (Trüffel) haben – damals schon über hundert Jahre bekannt. Aber weil sich so manch einer an den giftigen Oberteilen der Pflanze vergriffen hatte, und alles, was in der Erde wuchs als unheimlich, krankheits- oder gar lustfördernd galt, weigerten sich die Bauern damals, das eklige Zeug anzubauen.

Heute melden sich noch Menschen bei der Bonner Giftzentrale, die sich vermeintlich mit Kartoffeln vergiftet haben, allerdings eher selten. Tatsächlich ist die Kartoffel ein begehrtes Forschungsobjekt – in Peru, eines der Ursprungsländer, gibt es das internationale Kartoffelinstitut. Dort wird beispielsweise erforscht, inwieweit die Vitamin-A- reiche Süßkartoffel weltweit besser eingesetzt werden kann: Im Kampf gegen die durch Vitamin-A-Mangel verursachte Flussblindkrankheit.

Und es gibt regelmäßig den „Weltkartoffelkongress“, der dieses Jahr in Amsterdam stattfand. Hier geht es dann um die, die sich nicht nur in den Ferien bei den Kartoffeln herumtreiben: Kartoffelkäfer, Kartoffelknollenmotte und Stumpfwurzelnematode.

Kartoffelferien: Arbeitsgemeinschaft Urlaub und Freizeit auf dem Lande e. V. Lindhooperstr. 63, 27283 Verden, Tel.: 0 42 31/9 66 50, www.bauernhofferien.deInternationales Kartoffelinstitut: www.cipotato.org

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