DIE NAHOSTREISE DES KANZLERS STEHT UNTER EINEM SCHLECHTEN STERN: Hoher Erwartungsdruck
Man braucht kein professioneller Kaffeesatzleser zu sein, um den Misserfolg der Nahostreise des Bundeskanzlers zu prophezeien. Sein Vorhaben stand, bevor er ins von Gewalt und Unfrieden geplagte Heilige Land aufgebrochen ist, unter einem ungünstigen Stern. Der hohe deutsche Besuch findet nach dem blutigen Ende des Friedensprozesses und unter akuten Kriegsgefahren statt.
Schon im Vorfeld der Reise hat Israels Ministerpräsident den Kanzler gebeten, Druck auf Arafat auszuüben, damit dieser sich dem israelischen Diktat beugt. Israel verlangt von der deutschen Seite nicht nur Zurückhaltung, sondern Rückendeckung für seine Unterdrückungspolitik in den besetzten Gebieten. Und das mit außerordentlicher Deutlichkeit.
Auf der anderen Seite erwartet die arabische Welt vom deutschen Kanzler viel mehr, als er zu bieten hat. Die angeblich stets ausgewogene deutsche Nahostpolitik ist in den Augen der Araber nicht nur proisraelisch, sondern schlicht überholt. Denn Israel ist nicht mehr bedroht, muss nicht um seine Existenz fürchten und unterhält diplomatische Beziehungen zu wichtigen arabischen Ländern wie Ägypten und Jordanien. Eine Revision der deutschen Nahostpolitik ist überfällig. Gerade derzeit kann die Rücksichtnahme auf Israel nur bedeuten, die unverhältnismäßige Gewaltanwendung der israelischen Armee in den besetzten Gebieten zu legitimieren, die Hardliner zu unterstützen und die ganze Region zu destabilisieren.
Die Appelle des Bundeskanzlers zu einem Ende der Gewalt und der Rückkehr zum Verhandlungstisch sind wirkungslos, wenn sie nicht von einer politischen Initiative begleitet werden. Dies bedeutet, dass das Ergebnis des politischen Teils der Nahostreise des Bundeskanzlers gleich Null ist. Auch für die wirtschaftlichen Beziehungen Deutschlands zur arabischen Welt ist das Fehlen einer adäquaten Politik auf lange Sicht nicht hilfreich. Denn die arabische Öffentlichkeit fordert eine konsequente Politik gegenüber Israel und seinen Helfern. Die Rufe in den arabischen Hauptstädten nach einem Boykott israelischer und US-amerikanischer Waren sind unüberhörbar.
Das einzige positive Ergebnis des Besuches des Bundeskanzlers ist die menschliche Seite. Denn Schröder besucht zum ersten Mal Syrien und Libanon, und er wird den jungen Präsidenten Baschar al-Assad kennen lernen. Ansonsten ist außer Spesen nichts gewesen. ABDEL MOTTALEB EL HUSSEINI
Der Autor lebt als freier Journalist in der Eifel
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