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Sechs Quadratmeter Biesenthal

Brandenburger Jugendliche haben ein Flüchtlingswohnheim in Biesenthal besucht und einen bemerkenswerten Film darüber gedreht. Der Film wurde mit dem Civis-Preis ausgezeichnet. Am Alltag der Flüchtlinge hat sich nichts geändert

von UWE RADA

Ist in Deutschland einig Anständigenland alles in Ordnung, wenn keine Ausländer mehr verprügelt oder ermordert werden? Die Zivilgesellschaft gestärkt, wenn sich Flüchtlinge in Brandenburg bewegen können, ohne damit rechnen müssen, angepöbelt und beschimpft zu werden?

Lange vor der Sommerlochdebatte über Rechtsradikale, die schon längst zur Herbstdiskussion über „deutsche Leitkultur“ geworden ist, haben sich etwa zwanzig Jugendliche aus Bernau und Bad Freienwalde auf den Weg nach Biesenthal gemacht. Achtzig Flüchtlinge aus 28 Ländern leben dort, mehr im Wald als im Biesenthal selbst, in einem Flüchtlingswohnheim. Dank des Heimleiters wurde aus dieser Begegnung ein Wochenende mit Konzert, Diskussionen und Stadtbesichtigungen in Biesenthal und Bernau – und ein Videofilm, der jetzt den deutschsprachigen Civis-Preis der Bundesausländerbeauftagten sowie der ARD und der Freudenberg-Stiftung bekommen hat.

Es ist eine vorsichtige, eine schüchterne Begegnung. „Am Anfang wussten wir nicht recht, was wir sagen sollten, standen alle in unseren Grüppchen rum“, sagt eine Jugendliche, die im Film die Rolle einer Moderatorin spielt. Mit Hilfe einer Tischtennisplatte und dank der Kochkünste der Flüchtlinge ist das Eis aber bald gebrochen. Was folgt, sind Momentaufnahmen von Alltagsleben der Flüchtlinge in Brandenburg. Sechs Quadratmeter und 80 Mark Taschengeld stehen jedem Flüchtling zu. Es ist ein Alltag, der sich im Kreis dreht, ohne die Möglichkeit zu arbeiten, den Landkreis zu verlassen, Deutsch zu lernen. Ein Alltag, den die Filmemacher vorführen, ohne dabei kommentierend einzugreifen. Nicht zuletzt das macht den Film sehenswert.

Doch der Alltag wird auch durchbrochen. Am zweiten Tag, einem regnerischen Sonntag im Februar, besuchen fünf Flüchtlinge Biesenthal und Bernau, schauen im Jugendzentrum vorbei, diskutieren im „Kulturwagen“ über Ausländerfeindlichkeit. „Woher kommt der Rassismus in Deutschland?“, will Patrick, der aus Afrika nach Deutschland gekommen ist, wissen. Die Leiterin sucht lange nach einer Antwort, beginnt mit der Arbeitslosigkeit. Schade, dass die Diskussion zwischen beiden dann durch vorschnelle Politphrasen von einem Jugendlichen unterbrochen wurde.

In Bernau treffen die Flüchtlinge auch auf Passanten. Eine Frau mit Tochter grüßt schüchtern, einige Jugendliche sind irritert, lachen sich aus Verlegenheit zu, deuten einen Wurf mit einem Ball in Richtung Flüchtlinge an, der dann doch bei den eigenen Freunden landet. Dennoch wird Patrick, der aus Afrika nach Deutschland kam, später sagen: „Das war der schönste Tag in meinem Leben.“

„Sechs Quadratmeter neue Heimat“ ist aber nicht nur ein Film, es ist auch ein Versuch, ins Gespräch zu kommen. An drei Schulen wurde der Film bereits gezeigt, und in Schönfeld, einem 12 Kilometer von Biesenthal entfernten Flüchtlingsheim, soll bald eine weitere Begegnung stattfinden. Bemerkenswert ist, dass neben dem Berliner Bildarchiv Umbruch zwei Brandenburger Initiatven bei der Produktion des 25 Minuten langen Streifens dabei waren: der Jugendtreff Dosto in Bernau und das AJP Bad Freienwalde.

Im Flüchtlingswohnheim in Biesenthal ist mittlerweile wieder Alltag eingekehrt, Brandenburger Alltag. Anders als in anderen Bundesländern werden Familien mit Kindern in normalen Wohnungen untergebracht. Für die Flüchtlinge, die im Wohnheim bleiben müssen, hat das den Nachteil, dass es noch nicht einmal einen Gemeinschaftsraum gibt. Wer sich eine Busfahrkarte nicht leisten kann, verbringt die Abende alleine oder mit Freunden auf den Zimmern. Und manchmal fällt einem dann die Decke auf den Kopf: „Wenn wir im Heim sind“, sagt Patrick, „erinnern wir uns an unsere Eltern, die in Afrika umgebracht wurden. Um das zu vergessen, müssen wir mit Leuten zusammenkommen, mit ihnen reden, Spaß mit ihnen haben.“

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