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Kopf oder Bauch

Den meisten AmerikanerInnen ist egal, wer Präsident wird. Für die meistenMenschen außerhalb der USA wäre ein Sieg von George W. Bush eine Katastrophe

Die meistenMenschen wissen:Gores Konzepte sindbesser. Aber Busherreicht die Herzen.

Es ist eine Malaise, aus der es keinen Ausweg gibt: Ausgerechnet das am wenigsten an Politik interessierte, am fanatischsten religiöse und das selbstbezogenste Volk darf am kommenden Dienstag die wichtigste Regierung der Welt wählen. Und niemand kann die US-AmerikanerInnen davon abhalten, George W. Bush zum nächsten Präsidenten zu machen, den in außenpolitischen Fragen gänzlich unterbelichteten Gouverneur des Hinrichtungsstaates Texas. Er vereinigt in seiner Person alles, was die großen UN-Konferenzen der 90er-Jahre als Hemmnis einer nachhaltigen weltweiten Entwicklung benannt haben: umwelt- und energiepolitische Ignoranz, Ablehnung sozialer Verantwortung des Staates, familienpolitischen Konservativismus, außenpolitischen Hang zum Isolationismus.

George W. Bush hat gute Chancen, tatsächlich derjenige zu werden, der ab Januar die Macht hat, Reformen von Weltbank und IWF nach Gutdünken durchzusetzen, Entscheidungen im Weltsicherheitsrat zu prägen und die Rolle der UNO bei internationalen Friedenseinsätzen neu zu definieren. Er würde zudem den Internationalen Strafgerichtshof weiter boykottieren, die Bündnispartner der USA mit dem überflüssigen Nationalen Raketenabwehrprogramm brüskieren, den Nahost-Friedensprozess ad absurdum führen – und, zu guter Letzt, die Energiekrise in den USA dadurch lösen, dass er in den Naturschutzgebieten Alaskas nach Erdöl bohren lässt.

Die Vorstellung macht schaudern – außerhalb der USA. Die große Mehrheit der US-AmerikanerInnen hingegen ist der Auffassung, dass es dem Land so gut geht, dass daran auch der dümmste Präsident nichts ändern wird, und zwar weder der hölzerne Besserwisser Albert Gore noch der stammelnde Tollpatsch George W. Bush. Über Bush und dessen Dummheiten kursieren in den Medien bald mehr Witze als über Helmut Kohl Anfang der 80er-Jahre – und Kohl hat Kohl immerhin 16 Jahre regiert.

Für Außenstehende ist diese US-Wahl ein Drama. Denn: Bush und Gore haben in wesentlichen Fragen so unterschiedliche Positionen wie US-Präsidentschaftskandidaten schon lange nicht mehr. Im Kern sieht Gore den Staat in Zeiten einer prosperierenden Wirtschaft nicht nur als Garanten sozialer Sicherung sondern auch als Antriebskraft gesellschaftlicher Transformation und ökologischen Umbaus. Dass er als gewählter Präsident, zumal gegen einen weiterhin republikanisch dominierten Kongress, damit nicht weit käme und auch in der Vergangenheit nicht für die Einhaltung von Versprechungen bekannt war, tut dabei nichts zur Sache.

Bush hingegen schürt das traditionell libertäre und individualistische Denken der US-AmerikanerInnen und das grundsätzliche Ressentiment gegen die Bundesregierung. Er will die Regierung aus so vielen Dingen des Lebens raushalten wie möglich.

Es ist ein Widerspruch zwischen Kopf und Bauch, der die WählerInnen verwirrt und die Wahl eng macht: Die Lebensrealität von immer mehr AmerikanerInnen hängt nicht zuletzt von staatlichen oder staatlich organisierten Leistungen ab. Nicht zufällig haben die Tausende um eine Analyse des unbekannten Wählerwesens bemühten politischen Berater, Demografen und Think-Tank-Bewohner schon recht früh erklären können, was die Themen sind, über die sich die Menchen Gedanken machen: Bildung, Gesundheit, soziale Sicherung. Die meisten Menschen wissen, dass Gores Demokraten dazu die besseren Konzepte haben. In qualitativen Detailumfragen gewinnen Gores Positionen haushoch. Gores Programm beherrscht die Köpfe.

Aber Bushs Rhetorik beherrscht das Gefühl. Bush betont ständig seine texanische Herkunft – viele überarbeitete Mittelschichtler aus den Großstädten sehnen sich nach Sinnlichkeit und Landleben. Kitschfilme wie Robert Redfords „Pferdeflüsterer“ (1998) sind bilderreicher Ausdruck eines solchen Gefühls. Wichtiger aber: Bush verteidigt die Illusion des amerikanischen Traums vom erfolgreichen Individuum, das ohne Washingtoner Bürokraten seinen Weg macht. Dass diese Vorstellung in aller Regel Unsinn ist, wissen die Menschen auch. Aber muss man denn laut sagen, gar faktenreich belegen und mit erhobenem Zeigefinger verteidigen, was viele als misslich empfinden? Gore gerät in die Falle des Lafontaine-Wahlkampfs 1990: Er hat Recht, und keiner will es hören.

Wenn Bush diese Wahlen gewinnt, dürfte der Kongress 2002 wieder von den Demokraten übernommen werden – das wird dann die ernüchterte Fehlerkorrektur und dient der inneren Balance, die viele Wähler gerne sehen. Dem Rest der Welt aber ist damit wenig genutzt. Es geht tatsächlich nicht mehr, wie Claus Leggewie in der aktuellen Zeit richtig anmerkt, um die Frage kultureller, ökonomischer und politischer Vorherrschaft – die USA sind sowieso überall. Es geht um etwas anderes: Wie lange kann sich die Welt leisten, die USA einfach machen zu lassen?

Die US-Gesellschaft, seit je mit dem Wort „Exzeptionalismus“ richtig beschrieben, schickt sich erneut an, einen Sonderweg zu gehen. In Zeiten des Kalten Kriegs hatte die westliche, insbesondere die europäische Außenpolitik kaum eine andere Chance gesehen als die der „partnerschaftlichen“ Unterordnung unter die Führungsmacht USA. Für die Zukunft aber reicht das nicht aus – ein solch einseitig beschriebenes Verhältnis ist weder notwendig noch tragbar.Vielmehr muss selbstbewusst nach Möglichkeiten gesucht werden, die USA unter Anerkennung ihrer Sonderrolle in die Verantwortung zu weisen, die sie als weltgrößter Energieverbraucher, stärkste Militärmacht und bedeutendste Ökonomie nun einmal haben.

Es kann nicht sein, sagte Carl Friedrich von Weizsäcker vor kurzem bei einer Veranstaltung des Aspen-Instituts vor Mitarbeitern des US-Kongresses, dass die USA, von allen Weltproblemen unbeeindruckt, einfach den American Way of Life verteidigen. Vielmehr sei jede neue US-Regierung aufgefordert, Mittel und Wege zu suchen, ökologische Binsenweisheiten endlich auch in den USA zu verankern. Die Herren nickten höflich.

Gore gerät in die Falle des Lafontaine-Wahlkampfs 1990:Er hat Recht, aberkeiner will es hören.

Wer einzig verbliebene Weltmacht ist, fühlt sich auch so. Dagegen anzukommen ist nicht einfach. Rein argumentativ geht es nicht – rein ökonomisch auch nicht. Die USA haben schon jetzt durch starken Dollar, schwachen Euro und niedrige Produktivitätszuwächse ein Rekordhandelsdefizit von 3 bis 4 Prozent – das aber interessiert in den USA außer ein paar Gewerkschaftern niemanden und spielt im Wahlkampf keine Rolle.

Was also zählt, sind Macht und Einfluss. Es wird die größte außenpolitische Aufgabe der Europäischen Union sein, ein Gewicht aufzubauen, das jenseits des Atlantiks nicht mehr ignoriert werden kann. Dafür ist die EU derzeit nicht reif, zu sehr ist sie mit sich selbst, ihrer Verfasstheit, Erweiterung und demokratischen Legitimation beschäftigt. Nur: Sie muss es machen, und zwar bald. Ohne Widerpart werden texanische Provinzler das Schicksal der Welt bestimmen.

BERND PICKERT

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