: Das Zeltdach als Feigenblatt
Todesurteil für das Münchener Olympiastadion. Der Gipfel besiegelt den brutalen Umbau zur reinen Fußballarena. Dafür wollen die beiden Münchener Fußballvereine jetzt zur Finanzierung beitragen
von IRA MAZZONI
Der Abriss des Olympiastadions ist beschlossen. Zwar soll das weltberühmte Zeltdach stehen bleiben, aber was unter diesem Feigenblatt stadtbildnerischer Sentimentalität projektiert wird, bedeutet Zerstörung durch Neubau. Der „Stadiongipfel“ am vergangenen Freitag hat das Todesurteil besiegelt. Denn nach langem Zögern haben die Fußballvereine FC Bayern München und 1860 München erklärt, ihren Teil zur Finanzierung des mit 400 Millionen Mark eher gering veranschlagten Bauvorhabens beizutragen. Jetzt gibt es keine Alternative mehr zu dem von den Architekten Behnisch und Partner sowie Auer + Weber jüngst vorstellten „Konsensmodell“. Der Stadtrat muss die Entscheidung nur noch auf der Sitzung im Dezember abnicken.
Bis zuletzt hatte es wenigstens pro forma noch eine Option auf das Umbaumodell gegeben, mit dem München die Bewerbung für die Fußballweltmeisterschaft 2006 bestens bestanden hatte. Die Fifa nämlich wäre schon mit einer schlichten Überdachung der Osttribüne und der durchgehenden Bestuhlung der Arena zufrieden. Doch der Münchner Nobelclub FC Bayern wollte mehr: Die flach in die hügelige Parklandschaft gebettete Schüssel ist für die Fußballfunktionäre mega-out. Ein so genannter Hexenkessel mit zig VIP-Lounges muss her, damit Stimmung und Einnahmen steigen.
Konfrontationskurs
Und so legte Architekt Behnisch, der für das Stadion Urheberschutz reklamiert, um sein Werk konkurrenzlos massakrieren zu können, Umbauentwürfe für eine neue Schüssel, eine aufgesteilte Westtribüne und einen hoch geschlossenen Ring vor. Letzterer ging mit einer dreißig Meter hohen Tribünenwand auf zerstörerischen Konfrontationskurs zur weitschweifenden Parklandschaft, fand aber die ungeteilte Zustimmung der Vereine, die zuvor damit gedroht hatten, sich ihr eigenes Stadion vor den Toren Münchens zu bauen. Als die skandalumwitterte FIFA-Abstimmung Deutschland vor Südafrika den Zuschlag für die Austragung der WM im Jahr 2006 gegeben hatte, war das Schicksal des legendären Olympiastadions schon so gut wie besiegelt. Es fehlte nur noch die Stimme des Landesherrn, der als Vorsitzender des Verwaltungsrats des FC Bayern kein Unparteiischer ist: Mit 100 Millionen Mark versprach Edmund Stoiber den Umbau des Stadions zu fördern, vorausgesetzt, der „Ring“ würde verwirklicht. Auf die Eigentümerin des Stadions, die Stadt München, blieb die erpresserische Offerte nicht ohne Eindruck – auch wenn sie den „Ring“ ablehnte. Und so kam es zu Plan Nr. 5, dem besagten Konsensmodell.
Das Olympiastadion gehört seit April 1998 zum Denkmalensemble Olympiapark. Durch die einzigartige Symbiose von Landschaft und baulichen Anlagen wurde 1972 ein Gesamtkunstwerk von internationalem Rang geschaffen. Die Offenheit der Anlagen wurde im bewussten Kontrast zur monumentalen Hermetik des Berliner Olympiastadions von 1936 konzipiert. Es galt, so Otl Aicher damals, „eine Hypothek abzutragen“. Die beschwingte Dachlandschaft prägte sich als Symbol heiterer Spiele ein. Mit den von Behnisch und Partner, Frei Otto und dem Landschaftsarchitekten Günter Grzimek gemeinsam entwickelten Sport- und Freizeitpark präsentierte sich München als weltoffene Stadt. Das demokratische Nachkriegsdeutschland fand in der transparenten Architektur zu einem Begriff seiner selbst.
Aber welchen Wert hat schon Geschichte? Die Stadt fürchtet nichts mehr, als ein totes Denkmal unterhalten zu müssen. Deswegen kanzelte der Bürgermeister in ungewohnter Schärfe den zuständigen Konservator des Landesamts für Denkmalpflege ab, der in dem rücksichtslosen Entwurf keine Grundlage für eine genehmigungsfähige Planung sieht. Es darf auch keinen Stadionneubau an anderer Stelle geben. Denn dann würden nicht nur alle Fußballspiele, sondern auch Konzerte und Festivals in der neuen Arena stattfinden. Mit Leichtathletikwettbewerben allein fülle man kein Olympiastadion, verkündet die Olympiapark Gesellschaft, eine 100-prozentige Tochter der Stadt, die sich bei der erfolgreichen Vermarktung des Areals und seiner Einrichtungen bisher bequem auf das Fußballgeschäft verlassen konnte.
Schon im Oktober 97 hatte sich der Stadtrat darauf verständigt, keine alternativen Standorte für einen „Hexenkessel“ zu suchen. Als aber Architekten, Bürger und Bauherren mit guten Argumenten neue Bauplätze diskutierten, sah sich die Stadtbaurätin gezwungen, Stellung zu nehmen. Erwartungsgemäß fiel die Untersuchung von 14 Standorten negativ aus. Für das „Konsensmodell“ muss die alte Betonschüssel unter dem Zeltdach herausgehauen werden. Um das Publikum näher ans Spielfeld zu rücken, soll die Rasenfläche verschoben und um 4 Meter abgesenkt werden. Bei 1,70 Metern steht bereits das Grundwasser. Eine technische Herausforderung für die Ingenieure. Zumal die mächtigen Fundamente vom Randringseil des Zeltdachs nicht in Bewegung geraten dürfen. Einsturzgefahr! Wo werden die Vereine während des Umbaus spielen? Wie hoch werden die Einnahmeausfälle sein? Niemand kann das sagen.
Der Fangrill
Die neue Arena wird die Form einer Ellipse erhalten. Der Westrang soll steil unter dem Zeltdach stehen. Die Gegengerade ist flacher geplant. Aber aus den Kurven schält sich ein kreisrunder Rang heraus, der sich weit über die Bodenarena stülpt und bis zu 15 Meter über dem Vorplatz und den Bodenwellen des Parks aufragt. Die Zaungäste vom Olympiaberg müssen dem Stadion ade sagen. Und wer auf den Rängen hockt, der sieht nur Beton, Stahl und Glas. Am oberen Rand diese Rangs soll das „schwere Hängedach“ verankert werden – ein hufeisenförmiges Glasdach, das sich brutal unter das Zeltdach schiebt. Bei starker Sonneneinstrahlung werden die Fans hier gegrillt. Blend- und Sonnenschutz sind zwar möglich, nehmen dem Dach aber seine Transparenz. Die Fans können nicht mehr das ganze Stadion überblicken. Der Glasdeckel, gibt Architekt Uwe Kiessler von der Technischen Universität München zu bedenken, wirft das Rufen, Pfeifen und Singen der Fans brutal auf sie zurück. Für die obligaten Anzeigentafeln ist zwischen dem oberen Rang und dem Dach kein Platz. Ebenfalls ungelöst: die Integration der Flutlichter am vorderen Dachrand.
Altmeister Frei Otto, der 1968 dem Behnisch-Team zur Hilfe kam, um das angeblich unbaubare Zeltdach zu konstruieren, erklärt, sämtliche Entwürfe hätten bewiesen, „so funktioniert das nicht.“ Aus seiner langjährigen Forschung über leichte Flächentragwerke hätte Frei Otto diverse Lösungen für die kleinstmögliche WM-Ertüchtigung des Denkmals parat. Ein wandelbares Dach etwa, das nur sichtbar ist, wenn man es braucht. Frei Otto erinnert an die Fundamente, die er 1971 für ein zweites Zeltdach gießen ließ. Jederzeit könnte man das nötige Netzwerk spannen. Da Architekten, wie Frei Otto bedauert, die schlechtesten Denkmalpfleger sind, müssen die Bürger dafür sorgen, dass ein Bauwerk, das längst der Allgemeinheit gehört, nicht dem Profitfußball geopfert wird. Ein Bürgerbegehren ist eingeleitet. Bis Dezember hoffen die Initiatoren die nötigen 30.000 Stimmen beisammenzuhaben. Richtig, wenn auch zynisch jede Verantwortung für das Schicksal seines Baus ablehnend, hatte Urheber Behnisch bereits 1997 bemerkt: „Es ist nicht meine Aufgabe, den Münchnern das Olympiastadion zu erhalten. Das ist die Aufgabe der Münchner.“
Weitere Infos: www.buergerbegehren-olympiastadion.de; members.tripod.de/H_Friedrichs/kon-kom.htm; www.rakete.de
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