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Deconstructing Heimat

Stell dir vor, du kommst nach Hause, und ein Wirbelsturm hat gründlich aufgeräumt: Der deutschamerikanische Künstler David Krippendorff zeigt ab heute am Potsdamer Platz die Videoinstallation „There’s No Place Like Home“

Vis-à-vis der roten Info-Box am Potsdamer Platz steht deren kleiner Bruder, ein grüner Informationspavillon. Hier wurde Berlinbesuchern bisher die „Stadt als Ausstellung“ präsentiert. Diesen nächtens verwaisten Ort hat sich David Krippendorff auserkoren, um das Thema Heimat/Heimatlosigkeit zu visualisieren. In den nächsten zwei Wochen wird täglich Punkt 18 Uhr die kleine, grüne Holzbox hydraulisch gen Nachthimmel gehoben, und aus 3,60 Meter Höhe flimmert dann die Videoinstallation „There’s No Place Like Home“ auf den metallenen Boden.

Krippendorff, in Berlin geboren und in Rom aufgewachsen, lässt darin ein Haus durch die Lüfte fliegen. Es dreht sich in Zeitlupe um sich selbst, wie von einem Wirbelsturm erfasst, steigt und fällt. Je länger man schaut, umso bekannter kommt einem das „entwurzelte“ Häuschen vor – als Filmvorlage nutzte der 33-jährige Künstler Sequenzen aus dem Filmklassiker „The Wizard of Oz“ (1939).

In dem Video taucht zwischendurch immer wieder als Stillleben das Interieur einer Wohnung wie aus guten alten Zeiten auf. Eine Kanne, ein Topf, eine offene Tür, die im Nebenzimmer den Blick auf einen Schaukelstuhl freigibt. „Das altmodische Klischee eines gemütlichen Heims“, nennt das Krippendorff.

Sein Film ist in Brauntönen gefärbt und mit einer schwer identifizierbaren Geräuschkulisse unterlegt, die an Flugzeuge, Motorenlärm und Krieg erinnert. Doch auch dieses seltsame Rauschen und Brummen entstammt dem Hollywood-Klassiker, es handelt sich um den Lärm des Zyklons, der das Haus durch die Luft wirbelt, nur eben in Slow Motion. Auch der Satz „There’s No Place Like Home“, der das akustische Szenario immer wieder unterbricht, ist ein Zitat aus dem „Wizard of Oz“.

Die im Rahmen der Jüdischen Kulturtage gezeigte Videoinstallation an Berlins einst heimatlosestem Platz unterstreicht metaphorisch das Urbedürfnis des Menschen nach Zugehörigkeit und Heimat – hat sich „The Wizard of Oz“ doch tief ins amerikanische Bewusstsein eingeschrieben. Gerade Hollywood war damals wesentlich von heimatlosen Künstlern, europäischen Emigranten, meist Juden, geprägt. Sehnsucht nach Heimat ist deshalb ein stets wiederkehrendes Motiv in den Hollywood-Filmen jener Jahre.

„Heimatlosigkeit ist auch das Hauptthema unseres Volkes“, sagt der in New York lebende Deutschamerikaner Krippendorff, dessen Arbeit das Verlangen nach „heilender Heimkehr“ verdeutlicht und zugleich hinterfragt. Durch die ständige Wiederholung des Schlüsselsatzes „There’s No Place Like Home“, in Kombination mit dem wegfliegenden Haus, wird dessen Bedeutung entleert und umgekehrt. Es gibt nichts Schöneres als das Zuhause, nicht Schöneres als Heimat. Doch mitunter kann sie sich – warum auch immer – von einem Moment zum nächsten in Luft auflösen.

ANDREAS HERGETH

Bis 25. November. Info-Pavillon gegenüber der Info-Box am U-Bahnhof Potsdamer Platz, Ausgang Voßstraße, täglich ab 18 Uhr die ganze Nacht, Eröffnung heute, 20 Uhr

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