: Ein Bayer wird besinnlich
Leben ohne Nationalelf: Markus Babbel hat in Liverpool eine ungeahnte Liebe zu Gotteshäusern entdeckt, die raue Gangart gelernt und vor allem seinen Seelenfrieden wiedergefunden
aus Liverpool RONALD RENG
Markus Babbel hat entdeckt, wie viel schöne Dinge es außer Fußball-Länderspielen gibt; zum Beispiel Kirchen. Mutter und Oma waren kürzlich zu Besuch, Babbel war bemüht, ihnen Liverpool von seiner besten Seite zu zeigen, und am Ende ihrer Ausflüge selber überrascht: „Die Kirchen hier, die sind so prachtvoll, da fällst du vom Laubbaum.“ Er ist sich sicher, dass er auch am morgigen Mittwoch etwas finden wird, was schöner ist als Dänemark – Deutschland im Fernsehen. „Dass ich mir so einen Brüller anschaue, kann ich mir eigentlich nicht vorstellen“, sagt er. „An welchem Tag ist das Spiel überhaupt?“
Ein Vierteljahr ist es nun her, dass Markus Babbel, der letzte Bayer im Team von Bayern München, zum FC Liverpool wechselte. Es war ein radikaler Schritt, er verabschiedete sich nicht nur aus Deutschland, sondern nach 50 Länderspielen auch aus der Nationalelf, nachdem er von den Boulevardmedien in brutalen persönlichen Attacken als Sündenbock für das EM-Ausscheiden verantwortlich gemacht wurde. Mittlerweile sind seine Vorwürfe, der damalige Bundestrainer Erich Ribbeck hätte mit seinen katastrophalen Fachkenntnissen die Nationalelf „zum Sauhaufen“ runtergewirtschaftet, anerkannte Volksmeinung.
Einmal, sagt er, habe ihn sein Rücktritt gereut. Als Deutschland im Oktober das WM-Qualifikationsspiel gegen England in Wembley 1:0 gewann, saß er in Liverpool vor dem Fernseher und wäre gerne dabei gewesen. In Wembley wurde er 1996 Europameister, England ist jetzt seine sportliche Heimat, „da wusste ich schon vorher, das Zuschauen würde ein bisschen weh tun.“ Im Grunde aber sei der Rückzug die richtige Entscheidung gewesen. „Ich habe meine innere Ruhe wiedergefunden“, sagt er im Pub Wetherspoons, gut zwei Meilen die Straße hinunter vom Trainingsgelände des FC.
Es ist ein schlichtes englisches Gasthaus, Babbel selbst hat es als Ort für dieses Interview ausgewählt, „ich fahre jeden Tag zum Training dran vorbei und dachte, da musst du doch mal reinschauen.“ Die Gäste sagen nichts. Sie schauen nur perplex. Babbel legt sein marineblaues Handy auf den kastanienbraunen Holztisch: „Es ruft eh keiner an.“ Er hat seine neue Nummer kaum jemandem in der Heimat und keinem Journalisten gegeben. Er will Abstand zu gewinnen.
„Ich konnte einfach nicht mehr“, sagt er, „am Ende habe ich 20 Prozent unter meiner Bestleistung gespielt. Ich musste weg von diesem Druck. Ich musste meinen Kopf befreien.“ Sind ein paar gehässige Schlagzeilen wirklich so schlimm? Sein bester Freund im Profifußball, Jens Jeremies, sein Berater André Gross, selbst die Oma, „niemand konnte nachvollziehen, dass ich deswegen aus der Nationalelf zurücktrete, und das ist ja auch okay“, sagt er. „Es ist doch immer so: Wenn man selber nicht betroffen ist, klingt alles halb so schlimm. Aber ich wusste: Ich halte das nicht mehr aus.“
Vergangenheit. Würde er in Zukunft in die Nationalelf zurückkehren, wenn der neuen Teamchef Rudi Völler ihn riefe? „Ich glaube nicht“, sagt Babbel. Nach der sportlichen Leistung gehört er in die Auswahl, er beweist es in Liverpool gerade wieder, wo er nach anfänglichen, nicht immer astreinen Partien als rechter Verteidiger nun auf seiner Lieblingsposition in der Abwehrzentrale gefällt. Dritter ist der FC derzeit in der englischen Meisterschaft, und Babbel kommt auf den Geschmack. Natürlich, er hatte vorher gehört, dass die Premier League schneller und härter sei – aber was das bedeutet, merkt man erst, wenn man auf dem Platz steht: „Im ersten Spiel gegen Bradford bin ich noch sechsmal stehen geblieben, weil ich dachte: Foul. Aber der Schiedsrichter hat einfach nicht gepfiffen“, sagt Babbel, „es gibt immer noch genug Zweikämpfe, da mache ich die Augen zu, weil es so schlimm aussieht. Aber ich trete jetzt auch mit. Musst du ja, sonst gehst du hier unter.“
Der Milchkaffee ist längst getrunken, als er sein Handy nimmt und geht. Es hat tatsächlich nicht geklingelt. Nur einmal während der zwei Stunden im Wetherspoons störte kurz eine Frau. Er müsse sie entschuldigen, aber sie komme gerade von einem Vorstellungsgespräch, und jetzt sehe sie ihn hier – dann müsse sie den Job ja kriegen. Die Logik war nicht leicht nachzuvollziehen, aber Markus Babbel lächelte verständnisvoll. Er sah, die Frau war glücklich. Und das ist die Hauptsache. Er merkt es in Liverpool gerade selber wieder.
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