Vorgefragt: Hass auf fremde Männer
■ Frauen in der rechtsextremen Szene – ein Vortrag bei belladonna / Interview
„Kameradinnen zwischen Antisexismus und völkischem Denken“, heißt der Vortrag, den die Soziologin und Politikwissenschaftlerin Dr. Renate Bitzan von der Uni Göttingen heute Abend um 20 Uhr im belladonna (nur für Frauen) hält. Bitzan ist Fachfrau in Sachen Frauen und Rechtsextremismus, hat diverse Bücher zum Thema veröffentlicht. Die taz sprach mit ihr.
taz: Sind Frauen anders rechtsextrem als Männer?
Renate Bitzan: Frauen halten sich bei Gewalt deutlich zurück. Das heißt aber nicht, dass sie das Gedankengut nicht teilen. Sie haben nur sozialisationsbedingt eine höhere Hemmschwelle. Die ideologischen Einstellungen sind die gleichen wie bei Männern, und Frauen tragen die Gewalthandlungen oftmals auch mit.
Wie hat sich dieses Feld in den vergangenen Jahren verändert?
Mein Eindruck ist, dass gerade jüngere Frauen sich mit höherer Selbstverständlichkeit in den Cliquen, beispielsweise auf Demos, bewegen. Ich habe auch den Eindruck, dass bei den Straftaten die Geschlechtergrenzen aufweichen. Das muss dringend untersucht werden. Mädchen werden zu mehr Selbstbewusstsein erzogen. Das ist an sich ja gut. Aber das heißt auch, dass sie ihr Aggressionspotenzial stärker ausagieren.
Gibt es auch rechtsextreme Frauenorganisationen?
Klar. Die Gründungen solcher Organisationen nehmen zu, und noch ist unklar, wie sich das entwickelt.
Gibt es ein Frauenbild, das sich durch diese Szene zieht?
Nein. Ich habe untersucht, was Frauen in rechtsextremen Zeitschriften von sich geben. Es gibt ganz viele verschiedene Facetten. Da ist das traditionalis-tische Bild von Mutterschaft und Weitergabe von Brauchtum. Aber man findet auch modern klingende emanzipatorische Ansätze oder Forderungen nach Jobsharing oder geteilter Erziehungsarbeit. Das Interessante ist: Beide Bilder leiten Frauen aus einem rechten historischen Hintergrund ab, den sie sich zurechtbiegen. Der Rückbezug aufs Germanentum, auf Tacitus, kann in die eine und in die andere Richtung gedeutet werden.
Haben Frauen mit ähnlichem Leitbild einen gemeinsamen organisatorischen Hintergrund?
Nicht unbedingt. Die Positionen verlaufen oft quer zur Organisationszugehörigkeit. Und in allen rechtsextremen Organisationen finden Sie auch Frauen.
Sind die Ursachen dafür, dass Frauen zu Rechtsextremen werden, andere als bei Männern?
Teils – teils. Die viel zitierte Orientierungslosigkeit und Zukunftsängste sind natürlich auch bei Frauen vorhanden. Aber geschlechtsspezifische Gründe kommen dazu. Die schwierige Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die die meisten Frauen anstreben, führt zu einem speziellen Konfliktpotenzial, das ungelöst nach außen projiziert wird – nach dem Sündenbockprinzip: Wenn es nicht verarbeitet werden kann, muss es irgendwo anders raus. Eine weitere Ursache können sexuelle Gewalterfahrungen sein. Der Täter kommt ja häufig aus dem Nahbereich. Aber damit die eigene Gruppe vermeintlich konfliktfrei bleibt, geht die Aggression eben nach außen. Was bei den „eigenen“ Männern bagatellisiert wird, muss bei „fremden“ Männern übersteigert werden.
Fragen: Susanne Gieffers
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