zoologie der sportlerarten: PROF. H. HIRSCH-WURZ über die Dressurreiterin
Rodeo mit deutschem Geblüt
Bei Olympia haben sie wieder die Welt verzaubert: die große Herde der Menschen zu Dressurpferde. Die Akteure, im Fachterminus Homo hoppel elegans, viele deutschen Geblüts, lassen ihre tapferen Tragegeschöpfe ungewöhnliche Verrenkungen machen, die sie Traversalen nennen und Piaffen und Pirouetten und Schrittfolgen; manchmal, in dynamischen Momenten, auch versammelten Galopp.
Dressurreiten ist ein Sport für Ästheten, für Liebhaber des leichten Dahinschwebens und für Connaisseure endloser Ereignislosigkeit, die aus dem scheinbaren Nichts noch Prickel saugen und Thrill. Allerdings kann das Zeitlupentreiben im Videoclipzeitalter kaum noch wer goutieren. Ob sich, wenn sie in ihren Stallungen und auf weiten Weiden Fernsehgeräte hätten, Pferde selbst diese Disziplin ansehen würden, weiß man nicht. Vielleicht nur, um über die armen Kollegen zu weinen oder zu wiehern.
Indes wissen wir seit Erfindung des Fernsehens, dass man um der Quote willen schon beinah alle Boshaftigkeiten mit Pferden anstellen konnte: Fury musste instinktfremd in brennende Scheunen rennen, Mr. Ed kaugummikauend sogar sprechen und viele andere Rösser müssen bis heut ihre Reitersleut, die gern Schockemöhle oder Beerbaum heißen (Homo hoppel altus), über höchste Hindernisse tragen. Dafür wurde sogar ohne Not das Wort Oxer mit x erfunden.
Dagegen ist Dressurreiten zwischen Mensch und dem „Partner Pferd“ (Szeneslogan) eine naturnahe Sportgattung. Wie sich diese in der Evolution der Disziplinen überhaupt entwickeln und wie sie überleben konnte, ist wenig bekannt. Hiesige Pferdeforscher behaupten, Dressurreiten sei quasi eine Ersatzdisziplin für alle Pferde, die nicht sprechen und keine Joeys retten können, die vor Feuer davonlaufen und um Wassergräben herum (weshalb es all das im Dressurgeviert auch nicht gibt). US-Historiker behaupten, Dressurreiten sei die postmodern-domestizierte Form des Rodeo für Frauen feinerer Gesellschaftskreise. Eine umstrittene These, auch weil die Abwurfquote auffällig gegen Null tendiert.
Dressurreiten ist eine der wenigen Sportarten, bei der man sich, oben wie unten, gemischtgeschlechtlich gleichberechtigt misst. Auffällig ist, dass seit dem Niedergang des Damensattels (ephippium dominaensis) mehrheitlich weibliche Sportler siegen, weshalb es den Homo hoppel elegans immer seltener als masculus gibt. Früher, mit den Olympiasiegern Dr. Reiner Klimke (auf Ahlerich) und Dr. h.c. Josef Neckermann (aus Kaufhaus) war das noch anders. Seit dem Bullenreiter Klaus Balkenhol 1992 steckt die Männerdressur in der tiefsten Krise ihres Bestehens.
Die Homo hoppel elegans femineus ist eine zähe Menschin. Sie ist als Unternehmerin oder Anwältin lebensgestählt und trägt Zylinder, um ihn, wie nach dem Quartettgoldritt in Sydney, zu lupfen und Dutt zu zeigen. Das sechsbeinige Duo (par hexascelosum) ist immer Herz und Seele. Goldsiegerin Isabell Werth sagt über ihren Gigolo: „Wir sind wie ein altes Ehepaar. Nur dass wir uns nicht so oft streiten.“ Kollegin Ulla Salzgeber findet ihre Disziplin „einmalig schön, weil sie mit Lebewesen zu tun hat“. Was die Pferde sagen? Vielleicht erfahren wir es, wenn Nadine Capellmann sich einmal ihren Herzenswunsch erfüllen kann: mit Pferdeflüsterer Monty Roberts essen gehen.
Schwer tut sich auch das bestdressierte Pferd (equus condocefacerus superior) mit dem wesensfremden Fliegen. Nach Australien mussten sie, eine schier überpferdische Leistung, erst in Quarantäne und verplombte Container, dann im Spezialjumbo in spezieller Schrägfluglage entschweben, wobei der Kot- und Uringestank im Flugzeug nach 28 Stunden höllisch gewesen sein soll. Auch können die Pferde froh sein, dass sie keine Geher sind. Denn manchmal – und das ist bei ihren Kürvorführungen besonders punktträchtig – haben sie für einen kleinen Moment alle viere wie fliegend in der Luft. Als Geher wären sie längst disqualifiziert. Andererseits bringt uns disziplinenübergreifende Forscher diese Gefahr zum Tipp für alternde Kreaturen wie Gigolo, der mit 18 jetzt rentiert: der Rösser Seniorendressur. Eine Kür im Stand mit Schweif-Piaffen, Karottensynchronknabbern, Steh-Pirouetten, Hufwinken. Und die Reiterinnensleut leben dabei unerschüttert als Homo hoppelfrei.
Wissenschaftliche Mitarbeit:
BERND MÜLLENDER
Fotohinweis:Holger Hirsch-Wurz, 89, ist ordentlicher Professor für Human-Zoologie am Institut für Bewegungs-Exzentrik in Göttingen.
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