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Holländer-Käse mit Schlupflöchern

Nur noch 2,2 statt 5,2 Prozent ihres Ausstoßes von Treibhausgasen sollen Industriestaaten senken müssen. Das ist der Kern eines Kompromisspapiers von Konferenzpräsident Pronk. EU und Umweltschützer lehnen „diesen Rückschritt“ ab.

aus Den Haag MAIKE RADEMAKER

Als die Verhandlungen am Ende der Sackgasse angelangt waren, griff Konferenzpräsident Jan Pronk ein. In der Nacht zu Freitag legte er ein Kompromisspapier vor, nachdem die Industrieländer ihren Treibhausgasausstoß nicht mehr – wie 1997 in Kyoto vereinbart – um 5,2 Prozent, sondern nur noch um 2,2 Prozent vermindern müssten. Der Entwurf soll Basis für die bis heute Nachmittag zu erzielende Einigung sein.

Die Teilnehmer begannen noch in der Nacht zum Freitag Pronks Kompromiss zu verhandeln. Nach diesem wäre erlaubt, begrenzt bewirtschaftete Wälder, Acker- und Grünflächen als Kohlendioxidspeicher anerkennen zu lassen. Dieses „Schlupfloch“ gilt als einer der wichtigsten Diskussionspunkte in Den Haag. Die USA und Australien hatten sich für eine komplette Anerkennung dieser Flächen als so genannte CO2-Senken eingesetzt. Auch im Ausland unterstützte Aufforstungen könnten nach Pronks Vorschlag als eigene Klimaschutzmaßnahme angerechnet werden. Da es keine qualitativen Aussagen darüber gibt, wie der aufgeforstete Wald aussehen muss, könnten damit auch Plantagen angerechnet werden.

„Ich bin sehr besorgt. Der Vorschlag wird eher ein Anwachsen der Emissionen erlauben als eine Reduktion. Damit wird die Glaubwürdigkeit des Kioto-Protokolls in Frage gestellt“, entrüstete sich Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne). Auch in der EU-Delegation wurde Pronks Kompromiss als „Rückschritt“ abgelehnt.

Schwach bleibt Pronks Vorschlag auch bei der Frage, ob die Industrieländer größtenteils zu Hause Emissionen einsparen müssen oder ob dies auch im Ausland durch klimafreundliche Projekte möglich ist: Pronk legte hier nicht die von der EU angestrebte Obergrenze fest, womit mindestens die Hälfte der Reduktionen im eigenen Land erreicht werden muss. Er ging auf die USA zu, die Emissionen unbegrenzt durch Investitionen im Ausland einsparen wollen.

Gestern sah es so aus, als ob Pronks Papier die Verhandlungen gerade durch die eingebauten „Schlupflöcher“ eher erschwert denn beflügelt. „Wir befinden uns weiterhin in einem Stillstand der Verhandlung“, erklärte Trittin. Er wisse nicht, „wie ich der Industrie in Deutschland, die sich mit ihrer freiwilligen Selbstverpflichtung zu hohen Investitionen bereit erklärt hat, beibringen soll, dass Waldmanagement eine Klimaschutzmaßnahme ist“. Nicht einmal die US-Delegation war mit dem als US-freundlich eingeschätzten Kompromiss glücklich.

Bei vielen Umweltschützern galt das Papier gestern zwar als verhandelbar, nicht aber als mögliche Lösung. Jürgen Maier, Geschäftsführer des Forum Umwelt und Entwicklung, resümierte die mögliche Konsequenz, sollten die Kernaussagen des Pronk-Vorschlags nicht revidiert werden: „Wenn wir mit dem Pronk-Papier hinausgehen, brauchen wir gar nicht mehr zu ratifizieren.“ Spätestens bis heute Nachmittag vier Uhr soll die Konferenz beendet sein. Sagt zumindest Jan Pronk.

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