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Der Sommer, der niemals vorüberging

Weil Liebe nicht das Leben ist: In „Die Regenschirme von Cherbourg“ singt Catherine Deneuve vom Glück, doch der Geliebte bleibt am Ende unerreichbar.Das Babylon Mitte zeigt eine umfassende Retrospektive auf den französischen Kinovisionärs Jacques Demy, der einiges mit Lars von Trier gemeinsam hat

von ANDREAS BUSCHE

Manchmal scheint es, als liege das Gesamtwerk eines Künstlers jahrzehntelang sicher verwahrt in einer Art kollektivem Unterbewusstsein der Filmgeschichte, wo es nur auf den richtigen Moment wartet, sich der Öffentlichkeit in seiner ganzen Pracht zu offenbaren. Das Frühwerk Jacques Demys erfuhr zwar kurz nach seinem Tod Anfang der 90er-Jahre mit drei liebevollen Hommages seiner Lebensgefährtin Agnès Varda eine kleine Renaissance, die Verfügbarkeit seiner Filme war jedoch zu eingeschränkt, als dass sich die Brillanz Demys auch außerhalb eines cinephilen Spezialistenkreises hätte rumsprechen können.

Der Zeitpunkt könnte gar nicht besser gewählt sein, sich mit dem Oeuvre Demys einmal (wieder) eingehender zu beschäftigen. In diesem Herbst startete Lars von Triers Neorealismus-Musical „Dancer in the Dark“ und legte eine feine Spur zurück zu Demys bekanntesten Filmen, „Die Regenschirme von Cherbourg“ (1963) und „Die jungen Mädchen von Rochefort“ (1967) – stilistisch überwältigende Musikfilme, gedreht, nur wenige Jahre nachdem die Musical-Produktionen bei MGM endgültig eingestellt wurde. Catherine Deneuve, die in „Dancer in the Dark“ Björks schwesterliche Freundin spielt, hatte in „Die Regenschirme von Cherbourg“ ihre erste große Rolle und durfte vier Jahre später an der Seite ihrer Schwester Françoise Dorléac zusammen mit Gene Kelly und George Chakiris („West Side Story“) den Himmel in das Provinznest Rochefort holen.

Demy und von Trier sind gewissermaßen Brüder im Geiste. Beide widmeten sich dem Musicalgenre zu einem Zeitpunkt, als sich der Zeitgeist längst anderen Themen zugewandt hatte (Demys Wechsel von den strengen, formalistischen Schwarzweißbildern seiner Nouvelle-Vague-Meisterwerke „Lola“ und „Die blonde Sünderin“ hin zum bonbonfarbenen Unterhaltungskino stieß damals unter Hardlinern auf herbe Kritik); beide blickten mit naiver Faszination in das Herz der Populärkultur des amerikanischen Films der 40er-/50er-Jahre. Noch war ein „Bewegungskino“ ohne nostalgische Verklärung möglich, weil die Körper, die den Rhythmus der Musik und die Dynamik der Kamera vorgaben, als gesellschaftliche Subjekte präsent waren und sich nicht erst über diverse dekonstruktivistische Identifikationsmuster als eigenverantwortliches Individuum behaupten mussten.

Demy bewies (wie auch von Trier mit „Dancer in the Dark“) in allen Filmen ein kritisches Bewusstsein für die gesellschaftlichen Klassen, an denen Menschen trotz übermenschlich großer Liebe letztlich immer wieder scheitern. Hierin liegt die Tragik vieler seiner Filme. Obwohl Catherine Deneuve wie auch ihr ehemaliger Geliebter Guy in „Die Regenschirme von Cherbourg“ durch Zweckheirat in der gesellschaftlichen Hierarchie eine Stufe aufrücken, werden sie immer durch die Klassenschranke getrennt bleiben. Und das ist nicht weniger tragisch als der Tod, der den Arbeiter François Guilbaud in „Ein Zimmer in der Stadt“ (1982) vor den Augen der Tochter der Baronesse Langlois, seiner Geliebten, ereilt. Sein Opfer im historischen Werftarbeiteraufstand in Nantes 1955 erscheint wie ein Warnsignal: Bei Demy endet jeder Versuch, die Klassenschranken zu überwinden, tödlich. Björks viel zitierten Satz, in einem Musical geschehe nie etwas Schreckliches (frei nach Vincente Minnelli, Busby Berkeley & Co), strafte Demy schon in den frühen 60ern Lügen.

Überhaupt „Ein Zimmer in der Stadt“: In diesem späten Film brachte Demy das Experiment von „Die Regenschirme von Cherbourg“, sämtliche Dialoge von den Schauspielern singen zu lassen, ästhetisch zur Perfektion. Seine Bilder finden Kraft in der schmutzig-grauen Szenerie der Arbeiterstadt Nantes, verzweifelte Klagelieder wechseln sich ab mit hoffnungsvollen Arbeitergesängen, die tödliche Dramaturgie der Geschehnisse ist der elegischen Musik von Michel Colombier eingeschrieben. Eine grandiose szenische Verdichtung des drohenden Unheils.

Den unverkennbaren Blick des Auteurs hat Demy auch in seinen „Unterhaltungsfilmen“ nie verloren. Denn Demy dachte in Farben, Klängen und Formen (weswegen sich seine Farbfilme erst im Kontext von Michel Legrands Musik und Bernard Eveins Dekor ganz erschließen). Seine Inszenierung von Gegenständen, Kleidung, Architektur und Milieus folgt einem strengen Strukturprinzip: Während im Spielermelodram „Die blonde Sünderin“ (1962) die Kamera noch konzentriert die mechanischen Bewegungen am Roulettetisch und der Chipausgabe einfing und in Bezug zu dem angesichts ihrer Kreditlage übertrieben glamourösen Gebaren von Jeanne Moreau setzte, wurde in seinen ausschweifenden „Musicals“ die penible Abstimmung von Farben, Musik und Schauspiel als bombastische audiovisuelle Orchestrierung zelebriert – ohne jemals diese für ihn typische Leichtigkeit einzubüßen.

Demys Kino ist geschnitzt aus den Träumen eines großen Kindes, voller Anspielungen, Naivitäten, Banalitäten, Verkitschungen und trügerischer Hoffnungen, stilistisch überhöht als große Kunst. Mit derselben kindlichen Unnachgiebigkeit jagen auch seine Protagonisten hinter ihren Träumen her. Trotzig insistiert Jeanne Moreau in „Die blonde Sünderin“ auf ihrer Glückszahl „17“, die sie selbst schon das Geld für ihr Rückfahrtticket gekostet hat. Agnès Varda sagt in ihrer Dokumentation „Die Demoiselles sind 25 geworden“ (1993), wenn man nur oft genug sagen würde, dass der Sommer nie vorübergehen solle, würde er tatsächlich ewig dauern. Dieser unerschütterliche Optimismus nährt auch in den Filmen Jacques Demys eine irreale Hoffnung.

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