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das internet ist gottlos

von RALF SOTSCHECK

Fluoreszierende Lampen saugen Menschen die Vitamine aus dem Körper, wer hätte das gedacht? Zum Glück hat mich ein anonymer Wohltäter per E-Mail auf die Gefahr hingewiesen, sonst wäre ich der Anämie anheimgefallen. Ich benutze inzwischen auch bestimmte Schwämme nicht mehr, weil sie das im Vietnamkrieg eingesetzte Gift Agent Orange enthalten. Ein Fischliebhaber, der die Warnung schickte, hatte sein Aquarium mit einem solchen Schwamm gereinigt, und am nächsten Tag schwammen die teuren Zierfische mit dem Bauch nach oben. Und Sonnenschutzmittel? Um Gottes Willen! Kleine Kinder werden davon blind, schrieb eine verzweifelte Mutter in einer ausrufungszeichenlastigen Mail. Sonnencreme macht nicht blind, aber das Internet macht womöglich blindgläubig. Wenn man alle Warnungen ernst nehmen würde, dürfte man keine öffentlichen Telefone mehr benutzen, weil die Hörer mit einer Mixtur aus LSD und Strychnin beschmiert sind. Außerdem stecken in den Schlitzen für die Telefonkarten meist HIV-infizierte Spritzen. Sind die Gerüchte etwa ein Werbetrick der Handy-Industrie? Nein. Das Internet ist wohl eher eine Spielwiese für Paranoiker und Verschwörungstheoretiker.

Immer mehr Quacksalber machen sich breit und schicken ungefragt Rat für alle Lebenslagen. So sollen Frauen kein Deodorant benutzen, weil sie davon Brustkrebs bekommen. Das Spray blockiere nämlich die Schweißdrüsen, sodass die Gifte im Körper bleiben und – schwupp – zu Krebs führen. Frauen, die sich die Achselhöhlen rasieren, seien erst recht verloren: Das Deodorant dringe durch kleine Hautrisse in den Körper ein und verursache verheerenden Schaden. Ja, was denn nun? Krebs durch blockierte Drüsen oder durch vergiftetes Deo? Das Fiese an den Hiobsmeldungen ist, dass meist ein winziger Bruchteil davon auf echten Forschungen beruht, während der Rest frei erfunden ist. Damit sich der Unfug in Windeseile um den Globus verbreitet, appellieren die klotzköpfigen Urheber an das Gewissen: Man soll die Warnungen „bitte an alle weiterleiten, die dir wichtig sind“. Sonst helfe nur noch beten.

Aber Gott hat keine Website. Statt dessen erscheint auf dem Bildschirm die Nachricht: „Sorry. Die Adresse gibt es nicht. Es ist wie mit der Adresse von jemandem, zu dem man den Kontakt verloren hat. Es gibt dafür kein Heilmittel.“ Wenn das der Papst wüsste. Aber es kommt noch ärger: Satan hat seine eigene Domäne. Darauf tummeln sich die drei Cartoonfiguren Chip, Melvin und Buzz, und sie sind wirklich teuflisch schlecht.

Eine eigene Website hat auch der irische Premierminister Bertie Ahern, und sie war gewiss nicht billig. Bis vor kurzem gehörte sie nämlich jemandem, der darauf harte Pornografie verbreitete, wie übrigens auch auf den Seiten der meisten anderen irischen Politiker. Die hielten das für einen Nachteil im Wahlkampf und blätterten erhebliche Summen hin, um in den Besitz ihrer eigenen Namen zu gelangen. Statt Hardcore-Pornos gibt es jetzt grauhaarige Politiker in Anoraks. Das ist nun wirklich pervers.

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