: Aufmarsch der NPD gestoppt
Die Demonstration der Nationaldemokraten am Samstag durch Berlin wurde vorzeitig abgebrochen. Angesichts zahlreicher Gegendemonstranten sah sich die Polizei nicht mehr in der Lage, die Sicherheit der Rechtsextremisten zu gewährleisten. Kurz zuvor hatte Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) bei einer Gegenkundgebung vor dem Roten Rathaus mehr Zivilcourage gefordert
von ULF SCHUBERT
Bereits zum vierten Mal in diesem Jahr wollte die NPD am Samstag durch Berlin marschieren. Diesmal aber nicht durchs Brandenburger Tor. Darauf hatten die Nationaldemokraten schon im Vorhinein verzichtet. Andernfalls, hatte die Polizei gedroht, würde der Aufmarsch dort verboten. Doch auch bis zum politisch weniger neuralgischen Bahnhof Friedrichstraße kamen die Nazis trotz behördlicher Erlaubnis nicht. Nach etwa zwei Dritteln der Marschstrecke wurde der Naziaufmarsch gestoppt. Von Gegendemonstranten. Von der Polizei. Und von einer gesellschaftlichen Debatte, die es der Polizeiführung offenbar nicht mehr opportun erscheinen lässt, Rechtsextremisten den Weg freizuknüppeln.
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Ab den frühen Morgenstunden hat die aus mehreren Bundesländern und durch den Bundesgrenzschutz verstärkte Polizei mit einem Großaufgebot den Auftaktort der Neonazis am Ostbahnhof in Berlin-Friedrichshain abgeriegelt. Wasserwerfer, Räumpanzer, Videoüberwachungswagen und mehrere Hundertschaften schirmen ab zehn Uhr die sich dort in der Erich-Steinfurth-Straße versammelnden Nazis ab. Steinfurth, so erklärt das Straßenschild über der kahlköpfigen Szenerie, wurde 1934 von der Gestapo ermordet.
Gegendemonstranten werden von den Polizei in den Zugangsstraßen mit Platzverweisen auf Distanz gehalten. Dennoch stören rund 200 Antifas mit Pfiffen und „Nazis raus“ die Auftaktkundgebung der NPD-Anhänger. Die sind aus dem ganzen Bundesgebiet angereist und wurden größtenteils mit einem Sonderzug der S-Bahn von Schönefeld zum Ostbahnhof gebracht. Sie wollen gegen ein Verbot ihrer Partei demonstrieren.
Der Ordnerdienst der NPD ist von Beginn an auf Störungen eingestellt. „Ihr müsst mit allen Eventualitäten rechnen, zum Beispiel mit von außen geworfenen Fahrräder“, lautet eine der Anweisungen. Die von der überwiegend jungen und männlichen Anhängerschaft mitgeführten Plakattafeln mit der Parole „Argumente statt Verbote“ dienen vor allem als passive Bewaffnung – zum Schutz vor möglichen Wurfgeschossen. Der NPD-Lautsprecherwagen ist mit Holzbrettern verrammelt.
Bei Vorkontrollen werden drei Rechtsextreme festgenommen, weil sie sich nicht an die Auflagen der Versammlungsbehörde gehalten hatten: Sie hatten schwarzweißrote Fahnen dabei. Polizei und Innenverwaltung hatten nur die Bundesflagge oder die Fahnen der einzelnen Bundesländer zugelassen. Das verhängte Uniformverbot wird liberaler ausgelegt: Als Mitglieder der „Kameradschaft Elbe“ allesamt mit dem gleichen schwarzweißroten Aufnäher auftauchen, entscheidet die Polizei kurzerhand: „Eine Uniformierung wird nicht erkannt.“
Gegen 13 Uhr setzt sich der Aufmarsch der NPD in Bewegung. Hinter einem von ausschließlich von blonden oder blondierten Frauen getragenen Leittransparent „Deutschland lässt sich nicht verbieten“ folgen nach den überlicherweise niedrigen Polizeischätzungen etwa 1.400 Teilnehmer. Und schon kommt es zum ersten Zwischenfall: Antifas versuchen, an der Spitze des Nazi-Zuges ein Transparent mit der Parole „Nie wieder Deutschland“ zu entrollen, werden aber von Polizei und NPD-Ordnern weggeführt.
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Unterdessen redet Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) am Roten Rathaus in Berlin-Mitte. 3.000 Menschen sind nach den üblicherweise hohen Schätzungen der Veranstalter dem Aufruf der überparteilichen Initiative „Europa ohne Rassimus“ gefolgt, um hier seit 12 Uhr gegen den NPD-Aufzug zu demonstrieren. Nur die CDU hat sich nicht angeschlossen. „Die Zeit der Worte ist endgültig vorbei. Wir müssen jetzt handeln“, hatte Roland Gewalt, palamentarischer Geschäftsführer der Berliner CDU erklärt. Am Mittag debattiert die Union auf ihrem Landesparteitag Maßnahmen gegen den Rechtsextremismus.
Doch für den Bundestagspräsidenten ist die Zeit der Worte nicht vorbei. „Die Verteidigung gegen die Rechten darf nicht nur Sache der Justiz und der Politik sein“, erklärt Thierse am Roten Rathaus. Er ruft die Anwesenden auf, Zivilcourage zu zeigen. Solche Aufmärsche seien nicht eine Frage des Versammlungsrechtes, „sondern wir sind zuständig“. Und dann betont Thierse: „Wir überlassen den Braunen nicht unsere Stadt.“ Doch einen unmittelbare Konfrontation mit den Braunen versucht die Polizei zu verhindern. Nur hundert Meter nördlich des Roten Rathauses verläuft die geplante Marschroute der NPD. Der Weg dorthin ist mit Gittern und Polizeiautos versperrt. „Was sind das für Kameraden?“, fragt ein Polizist seinen Kollegen mit Blick auf die Gegendemonstranten. „Ganz normale Leute“, erklärt sein Kollege.
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Die NPD kommt nur langsam voran. In der Friedenstraße bilden 60 Menschen eine erste offizielle Gegendemonstration, angemeldet von Antifagruppen. Kurze Zeit später endet auch eine Gegendemonstration mit ungefähr 400 Teilnehmern. Die NPD-Anhänger grinsen. Gegendemonstranten schreien „Nazis raus“. Die NPD-Ordner geben Order: nicht provozieren lassen. Volksmusik kommt aus ihren Lautsprechern. Sie schreien ihre Parolen: „Berlin bleibt deutsch“.
Auf der Frankfurter Allee, dem sozialistischen Prachtboulevard Berlins, treibt die Polizei ein paar hundert Gegendemonstranten vor sich her. Einer Kette aus bayerischen Beamten folgen zwei Wasserwerfer und unzählige Mannschaftswagen. Erst wenn alle potenziellen Protestler aus dem Weg sind, folgen mit großem Abstand die Nazis. Entlang der Wegstrecke hängen verzeinzelt Transparente aus den Fenstern, auf denen „Gemeinsam gegen rechts“, „Gegen Nazis“ oder einfach nur „Scheiße“ steht.
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Gegen 14 Uhr wird die Versammlung am Roten Rathaus aufgelöst. Die NPD ist noch kilometerweit entfernt. Die Polizei gibt alle Wege frei. „Danke fürs Kommen und einen guten Heimweg“, wünscht die Moderatorin. Doch viele gehen nicht nach Hause, sondern zur Neuen Wache. Dort plant die NPD eine Zwischenkundgebung. Studenten eine Protestkundgebung angemeldet. Etwa 1.000 Menschen bilden Ketten quer über den Boulevard Unter den Linden.
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Die Braunen stehen inzwischen kurz vor dem Alexanderplatz. Doch auf der Kreuzung stehen mehrere hundert Menschen im Weg. Die Polizei drängt sie beiseite. „Mit allen Mitteln wollen die deren Marsch durchführen“, sagte ein Teilnehmer. Eine Frau sagt: „Das ist ja der Hammer, ich will hier buh rufen, und komme gar nicht ran, die normalen Leute können ihren Unmut nicht los werden.“
Dann die erste Wende. Die Polizei ändert die Route. Die NPD-Anhänger sollen links an den Gegendemonstranten vorbeiziehen. Doch immer mehr Menschen versuchen sich auch auf der neuen Strecke den Nazis in den Weg zu stellen. Zu den Antifas gesellen sich Menschen mit grünen „Nein zu Neonazis“-Luftballons, die vor dem Roten Rathaus verteilt wurden. Und auch die Besucher des Weihnachtsmarktes kommen herüber. „Alle Bürger verlassen bitte sofort den Alexanderplatz“, tönt es aus den Lautsprechern der Polizei. Doch niemand gehorcht.
Ein Feuerwerkskörper schießt Richtung NPD in den Himmel, auch Flaschen und Steine werden geworfen.Die Polizei setzt kurzzeitig Wasserwerfer gegen die Blockierer ein. Die NPD-Anhänger fordern „mehr Wasser!“. Unter dem Gejohle der Neonazis, die „Zugabe, Zugabe“ und „Straße frei dem nationalen Widerstand“ skandieren, drängen die Beamten zunächst die AntifaschistInnen ab und räumen Barrikaden aus Baumaterial aus dem Weg. Dass auch die Neonazis vereinzelt Gegenstände auf ihre GegnerInnen werfen, wird von der Polizei ignoriert.
Doch um 15.18 Uhr setzt die Polizei dem Aufzug ein Ende. Trotz knapp 4.000 Beamten vor Ort kann die Polizei nach eigenen Angaben den Nazis keine „Sicherheit für Leib und Leben“ mehr garantieren, heißt es über Lautsprecher. Die Blockierer jubeln und klatschen. Die NPD-Anhänger singen alle drei Strophen des Deutschlandliedes und rufen: „Wir kommen wieder“.
„Der Polizeiführer entschied aus Gründen der Verhältnismäßigkeit, das Demonstrationsrecht der NPD nicht weiter durchzusetzen“, heißt es später in einer Erklärung der Polizei. „Um erhebliche Konfrontationen zwischen Aufzugsteilnehmern und Gegendemonstranten zu vermeiden, wurde der Aufzug beendet.“
Die NPDler werden aufgefordert in den S-Bahnhof zu gehen. Dort stehen Sonderzüge bereit. Als die Braunen zögern, schreitet die Polizei erstmals auch gegen sie ein. Einzelne Skinheads werden zu Boden gerissen. Der Rest wird gewaltsam in den Bahnhof gedrängt. Mehrere Personen werden verletzt oder festgenommen.
Auf dem Bahnsteig wollen einige mit einer Sitzblockade für die Freilassung ihrer festgenommenen Kameraden protestieren. Letzter Passagier des Sonderzuges Richtung Schönefeld ist so der Berliner NPD-Vorsitzende Andreas Storr. Er wird von vier Beamten in den Zug hineingetragen.
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Später am Abend wieder das gewohnte Bild. Die Polizei kümmert sich um linke Demonstranten. 1.500 überwiegend Jugendliche ziehen durch Berlin-Friedrichshain. Die Antifaschistische Aktion Berlin (AAB) will damit an den Hausbesetzer Silvio Meier erinnern, der hier vor acht Jahren von rechten Jugendlichen erstochen wurde.
Der PDS-Abgeordnete Freke Over, der den jährlichen Protestzug angemeldet hatte, beklagt hinterher „massive Übergriffe der Polizei“. Selbst der Verbindungsbeamte, der für die Absprachen zwischen Demo-Anmelder und Polizei zuständig ist, sei den Knüppeln seiner Kollegen nur entgangen, weil er ihn zur Seite gezogen habe.
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