: Dr. Mathe korrigiert per E-Mail
Der Cornelsen-Verlag erntet reihenweise gute Noten für seine Hausaufgabenhilfe per Mausklick. Die Cyberlehrer sehen aus wie Lara Croft. Und auch die Schüler können sich ein Zweit-Ich zulegen. Für anonyme Fragen an die Lehrer und Plaudern im Chat
von MARTIN REICHERT
Berlin-Schmargendorf stand bisher nicht im Ruf, ein Standort für innovative Internetunternehmen zu sein. Das könnte sich jetzt ändern, dank dem Cornelsen-Schulbuchverlag in der Mecklenburgischen Straße. Dessen Tochter Lernland GmbH produziert dort seit einem Jahr das Online-Angebot „learnitex.de“, eine 3-D-animierte „Lern-Community“ für Schüler von zehn bis zwanzig Jahren.
Die wurde gerade mit dem internationalen Web-Award „Standard of Excellence“ der Web Marketing Association (WMA) ausgezeichnet. Im Foyer des Verlags stehen bereits der deutsche Bildungssoftwarepreis Digita und die Gigamaus, vergeben von der Zeitschrift Eltern for Family.
Das Erfolgsgeheimnis – es gibt bereits 60.000 eingetragene Mitglieder – liegt in der gelungen Umsetzung des Edutainment-Prinzips: der Verbindung von Bildung und Unterhaltung. Neues Lernen zwischen Rechenaufgaben und virtuellen Treffpunkten, in denen sich die Schüler per Chat unterhalten können.
Learnitex.de ist eigentlich eine kostenlose Online-Hausaufgabenhilfe in den Hauptnachhilfefächern Mathe, Deutsch und Englisch. Sie verfügt über ein reichhaltiges Wissensarchiv, Link-Sammlungen und Lerntipps. In einem Übungsbereich können spielerisch Vokabeln oder Kopfrechnen geübt werden.
Für 98 Mark im Halbjahr geben die virtuellen Lehrer Dr. Mathe, Dora Deutsch und Super James AbonnentInnen auch gezielte Nachhilfe. Bis 17 Uhr eingereichte Hausaufgaben werden den Schülern per E-Mail noch am gleichen Tag korrigiert zurückgesendet. Hinter den Cyberlehrern verbirgt sich ein Team aus echten Pädagogen, die nach dem Unterricht in die virtuellen Identitäten schlüpfen.
Den eigentlichen Knüller seines Portals verdankt learnitex.de seinem Mitbegründer und jetzigen Technikpartner Blaxxun Interactive, einem Technologie-Unternehmen, das für 3-D-Communities wie „Cybertown“ steht. Dr. Mathe ist dank Blaxxun ein Avatar, ein virtueller Mensch à la Lara Croft, der sich in der dritten Dimension bewegt. Auch die Schüler können sich einen Avatar aussuchen, etwa Cool Guy oder Hot Chick, und damit in eine andere, virtuelle Identität schlüpfen. Registrierte Mitglieder können sich ein eigenes Haus in der Cyber-Kolonie aussuchen und individuell einrichten, bezahlt wird mit virtuellem Geld. Man kann andere Avatare treffen, Bungee-Springen, Skateboard fahren. Es gibt eigene Clubs, in denen sich Freunde treffen können, die Kommunikation läuft über den Chat.
Doch auch bei der Wissensvermittlung bietet die dritte Dimension neue Möglichkeiten. Zusammen mit der Universität Wien wurden Applets, interaktive Anwendungen, erstellt, mit denen man etwa einen Zylinder auf der Ebene rotieren lassen kann. Erwartungsgemäß werden jedoch die Unterhaltungsangebote, speziell der Chat, intensiver genutzt als der Bildungsteil. Auch wenn versucht wird mit Gewinnspielen und Wettbewerben, etwa einer Internet-Rallye oder der Zeitreise „Zwölf“, die Grenzen zwischen Lernen und Spaß zu verwischen.
Doch auch der Spaß vermittelt zumindest Medienkompetenz. Das Herunterladen und Installieren der 3-D-Software ist, für Erwachsene, nicht ganz einfach. Doch wer Probleme damit hat, sollte mal auf dem nächsten Spielplatz nachfragen. Die Grundschullehrerin Gila Gappa hat in ihrem Internetunterricht beobachtet, dass Kinder mit der Technik hervorragend zurechtkommen: „Die klicken einfach irgendwo drauf und warten, was passiert.“
Gappa war Leiterin des learnitex-Pilotversuchs an der Erpel-Grundschule in Heiligensee. Der pädagogische Nutzen hat dort alle Lehrer überzeugt: „Die schriftliche Formulierung der Frage hilft vielen Schülern schon, sich über die Aufgabe und ihre Wissenslücken klarer zu werden“, hat Gappa festgestellt. Die Schüler schätzten besonders, dass sie ihre Fragen anonym stellen konnten. Die zusätzlichen Übungen und Lerntipps wurden meistens vor anstehenden Klassenarbeiten genutzt.
„Der Fun-Aspekt steht im Moment im Vordergrund“, räumt auch der geistige Vater des Projekts, learnitex-Geschäftsführer Martin Hüppe, ein. Längerfristig gesehen sollen die Kinder über das Spielerische an die Inhalte gelockt werden. Auch die „Rieseninvestition“ soll sich für den mittelständischen Verlag erst längerfristig lohnen: Es geht nicht nur um den derzeit heftig umworbenen Online-Kunden Kind, sondern auch um den Nachhilfemarkt in Deutschland, der hier im Gegensatz zu Ländern mit Ganztagsunterricht eine völlig andere Rolle spielt.
Irgendwann soll mit den gebührenpflichtigen Lerndienstleistungen und dem CD-ROM-Verkauf Geld verdient werden. Im Moment wird noch verlustreich in den Markt der Zukunft investiert, Geld kommt von Sponsoren wie Intel und Casio. Und durch Werbebanner, ein weiterer Ablenkungsfaktor auf den learnitex-Seiten. Wer keine Lust auf Mathe hat, wird per Klick zu Käptn Blaubär weitergeleitet.
Martin Hüppe verweist jedoch darauf, dass Computer als gestaltbares Gegenüber ideal bei Konzentrationsstörungen seien. Die Edutainment-Debatte, Hauptkritikpunkte sind unter anderem die Vernachlässigung der Bewegung, der unmittelbaren Sinneswahrnehmungen und des sozialen Lernens vor dem Computer-Bildschirm, findet er übertrieben: „Die im Internet verbrachte Zeit geht nachweislich zu Lasten des Fernsehkonsums.“ Auch der soziale Aspekt werde gefördert, bei learnitex würden die Schüler ihren Chat-Room selbst verwalten, in Adventure-Lernspielen müssten sie Aufgaben im Team lösen. Learnitex sei auch weder als Ablösung des Nachhilfeunterrichts noch des Schulbuchs gedacht, betont Hüppe. Es gehe um Ergänzung, Erweiterung, Komplementär.
Die Idee zur Cyberkolonie von learnetix ist übrigens einem konventionellen Buch entsprungen: Hüppe hatte den Kultroman „Snow Crash“ von Neal Stephenson gelesen. Der spielt im Computer-Metaversum.
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