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DER JAPANISCHE REGIERUNGSCHEF MORI BILDET SEIN KABINETT UMDie Titanic lässt grüßen

Japans regierende Liberaldemokratische Partei überrascht seit ihrer Machtübernahme 1955 mit ihrer „Kunst“, mit allen erdenklichen Winkelzügen an der Macht zu bleiben. Die jüngste Kabinettsumbildung ist ein neuer Beweis dafür. Weder ein Misstrauensantrag der Opposition noch eine parteiinterne Rebellion eines liberalen Flügels und schon gar nicht die tief greifende Unzufriedenheit der Bevölkerung vermochten den angeschlagenen Premier Yoshiro Mori aus dem Amt zu heben.

Was ist das Geheimrezept der LDP, sich nach jeder parteiinternen Krise als gestärkt zu präsentieren und nicht mit einer vernichtenden Wahlniederlage bestraft zu werden? Einer der Hauptgründe liegt darin, dass sie mit ihren fast zehn rivalisierenden Fraktionen mehr wie eine Koalition verschiedener Interessen funktioniert als eine Partei im europäischen Sinne, die mit einem klaren politischen Programm die Wähler an sich bindet.

So schaffte es Mori am Dienstag, das delikate Gleichgewicht unter den Parteifraktionen so zu balancieren, dass er nun mit ihrem vollen Rückhalt weiterregieren kann. Die Schlüsselfigur im neuen Kabinett ist der Expremier Ryutaro Hashimoto, der als Anführer der mächtigsten Fraktion das Amt des Ministers für Verwaltungsreformen erhielt. Mit Hashimoto kann Mori der Bevölkerung auch gleich ein bekanntes und recht beliebtes Gesicht bieten. Das genügt für das politische Überleben.

Fast keine Rolle im Kalkül der LDP spielt das Image der japanischen Regierung im Ausland. Es reicht, wenn der Außenminister – Yohei Kono bleibt im Amt – als verlässlicher Gesprächspartner anerkannt ist. Diese nach innen gerichtete Sicht in Tokio könnte sich jedoch bald rächen, denn Japans Wirtschaft wird immer stärker in die globale Ökonomie integriert und das Image der Regierung beeinflusst zunehmend die internationalen Kapitalströme, ohne die auch Tokio nicht mehr überleben kann. Mit ihrer lokalen Parteilogik schadet die LDP dem Land derzeit so sehr, dass die Befürchtung gerechtfertigt ist, dass da ein noch intaktes Schiff mit Absicht zur zerstörerischen Kollision mit einem Eisberg gelotst wird. ANDRÉ KUNZ

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