whole lotta yoko. mein leben als popstar:
von WIGLAF DROSTE
Popstar sein bedeutet, dass alles, was man tut, mit Bedeutung aufgeladen wird. Eigentlich macht man nur seine Arbeit, aber dadurch, dass andere sie betrachten, wird sie scheinbar größer. Wenn ein halber Satz, ein Blick oder eine Geste zum Gegenstand öffentlicher Interpretationen wird, hat man es mit Pop zu tun: kuck mal, wie der gerade kuckt! Das ist Pop.
Popstars haben Glamour, den man aber englisch ausspricht. Schwierig wird es, wenn es den Pop in die Kleinstadt verschlägt; in Kleinstädten wird Pop eher als affig empfunden, als aufgesetzt. Andererseits wird gerade hier Glamour erwartet, große Welt, Sternenstaub, der ganze Kram. Vom Popveranstalter wird der Popstar in ein Hotelzimmer getan, das braun geraucht ist, das nach Einsamkeit riecht und in dem es seltsame Flecken gibt. Nun muss der Popstar den Veranstalter anrufen und sagen: „Zu viel Vertretereiweiß.“
Auch Feinde haben ist Pop. Eine eher lahm vor sich hinmahnwachende Männergruppe aus Bielefeld trug mir in der Kleinstadt Detmold eine vierköpfige Veranstaltereskorte zur Toilette ein. So bedeutungsvoll, so legendenumgürtet wie an diesem Abend pinkelte ich nie.
Popstars lernen auch fremde Frauen oder Mädchen kennen. Das ist manchmal gar nicht so angenehm. Zuweilen aber scheint es verheißungsvoll zu schimmern. Einmal sprach mich eine junge Frau an. Sie sah aus wie die Erfüllung eines pubertären Traums, in dem Jayne Mansfield die Hauptrolle spielt. Ob wir vielleicht noch ein bisschen zusammen ausgehen könnten, fragte sie. Ich regredierte schlagartig, versuchte, mir nicht unters Kinn zu pissen, und strahlte: ja, klar, gerne. „Schön“, sagte sie und stellte sich vor: „Ich heiße Yoko Ono.“ Das verwirrte mich etwas. Ich kenne weder Yoko Ono noch Jayne Mansfield persönlich, doch wenn ich mich recht entsinne, sehen die beiden einander nicht wirklich ähnlich. Egal aber: Wenn sie sagte, sie heiße Yoko Ono, war mir das recht. Ich war bereit, ihr alles zu glauben oder doch immerhin so zu tun, als ob.
Yoko war sehr durstig. „Mumm!“ verlangte sie. So schrecklich und glykolig ihr Wunsch auch war, mir war er Befehl. „Mmummm!“, mummte es schon bald aus ihr heraus, die Mümme flogen in hoher Schlagzahl in sie hinein, und nach diversen Gläsern schien ihr der geeignete Zeitpunkt für eine Mumm-zu-Mumm-Beatmung gekommen zu sein. Ich küsse Yoko Ono!, dachte ich. Sagenhaft!
Aber dazu kam es nicht, denn Yoko kurbelte das Fenster ihres Automobils herunter, das sie trotz aller Getränke ganz selbstverständlich fuhr, und hielt, bei voller Fahrt, den Kopf aus dem Fenster. Und erbrach, laut und heftig, viel Mumm und viel anderes. Dann kam der Wagen zum Stehen. Ob denn alles in Ordnung sei, fragte ich blöde. Yoko kötzelte noch ein bisschen nach und schüttelte dann den Kopf. „Nneinn“, mulmte sie. „Ich habe auch gelogen. Ich bin gar nicht Yoko Ono. Ich heiße Ramona.“
Seitdem geht mir eine Zeile nicht mehr aus dem Kopf: Ramona erbrach, Yoko Ono jedoch erbroch. Vielleicht wird ja ein Popsong daraus.
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