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Psychogramm eines Mörders

In den Kammerspielen überzeugt Christian Redl als „Totmacher“  ■ Von Karin Liebe

Kennen Sie sicher: Warte, warte nur ein Weilchen, dann kommt Haarmann mit dem Hackebeilchen und macht Schabefleisch aus dir. Ein Abzählreim aus der Weimarer Republik, der auch 75 Jahre nach der Hinrichtung des Serienmörders Fritz Haarmann noch nicht vergessen ist. Serienmörder sind ein dauerhaftes Faszinosum. Sie stoßen ab und ziehen an, erzeugen Angst und Lust. Das ist heute nicht anders als in den Zwanzigerjahren, als der Hannoveraner Kaufmann Haarmann die Bevölkerung schockierte, weil er mehr als 20 junge Männer tötete und zerstückelte.

Christian Redl ist Fritz Haarmann. Selten hat man auf der Bühne einen Schauspieler erlebt, der so komplett mit seiner Rolle verschmilzt. Schon rein äußerlich sieht er Haarmann sehr ähnlich: der kantige Schädel mit der Glatze, der Schnauzbart, die kräftige Statur. Aber entscheidender ist, wie Redl spielt: Er ist naiv und durchtrieben, eitel und ängstlich, zärtlich und brutal, kindlich und größenwahnsinnig. Er versteckt sich bei Gewitter unterm Tisch und steigt später auf einen Stuhl, um zu verkünden, dass ein großes Denkmal für ihn und seine Opfer errichtet werden soll. Redl zeigt eine extrem gespaltene Persönlichkeit, die sich selbst für einen herzensguten Menschen hält und vor Selbstmitleid über den bösen Vater greint, aber im nächsten Moment eiskalt über seine Opfer urteilt: Waren doch nur Puppenjungs.

Den Vergleich mit Götz George, der in Romuald Karmakars Film Der Totmacher von 1995 die Hauptrolle spielte, muss Redl nicht scheuen. Blitzte bei George zwischendurch auch immer seine eigene Eitelkeit auf, bleibt Redl konsequent bei Haarmann. Ansonsten erinnert Ulrich Wallers sensible Inszenierung an den Kammerspielen in vielerlei Hinsicht an die Verfilmung des Stoffs. Beide beruhen auf Karmakars und Michael Farins Drehbuch, das nach Protokollen von Haarmanns gerichtspsychiatrischer Untersuchung entstanden ist. Beide zeigen das nüchterne Gerichtsprotokall als konzentriertes Kammerspiel mit drei Personen: dem Mörder, dem Psychiater und dem Stenografen.

Anfangs ist die Rollenverteilung noch klar: Professor Ernst Schultze fragt, Patient Haarmann antwortet, der Stenograf schweigt. An welchem Fluss liegt Hannover? In welcher Himmelsrichtung geht die Sonne auf? Mal schülerhaft brav, mal aufbrausend und genervt reagiert Haarmann. Doch allmählich weicht die klare Rollenverteilung auf.

Haarmann lenkt immer häufiger das Gespräch, bis er Schulze phasenweise auf einen bloßen Stichwortgeber reduziert. Der Psychoprofi kann sich immer weniger von der komplexen Ausstrahlung des Massenmörders distanzieren. Für Peter Franke ist es keine leichte Aufgabe, neben dem glänzenden Redl zu bestehen. Er gewinnt kaum eigene Kontur, wirkt oft steif und bemüht in seiner betonten Distanzierung, selbst in den seltenen Momenten, in denen er laut wird. Und trotzdem geht Ulrich Wallers Konzept, als Intendant der Kammerspiele ganz auf Schauspielertheater zu setzen, wieder einmal auf. Dank der Glanzleistung von Christian Redl – und einer sehr sparsamen, konzentrierten Regie, die auf karger grauer Bühne viel Raum lässt für innere Bewegung.

Was sich als äußerlicher Gradmesser für den Gemütszustand Haarmanns und die Beziehung zu seinem Psychiater bewegt, sind die Sitzkonstellationen. Befindet sich Haarmann anfangs noch mit dem Rücken zum Publikum, wendet er ihm kurz darauf das Profil zu, bis sein Gesicht frontal zu sehen ist. Später, wenn er an Sicherheit gewinnt, begibt er sich auf den Stuhl des Stenografen, dann auf den des Psychiaters. Und einmal rückt er dessen Stuhl ganz nah an seinen, zeigt mit dem Finger darauf. Und da gehorcht der Psychiater doch tatsächlich und lässt sich brav neben seinem Patienten nieder. Da hat er ihn – und uns.

täglich bis 20. Dezember, jeweils 20 Uhr, Kammerspiele

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