Vor dem Geld steht die Stiftung

„Wir können nicht hinter jedes Opfer einen Kontrollapparat stellen“

von NICOLE MASCHLER

Die Herren sind vom Fach. Der Kuratoriumsvorsitzende der Entschädigungsstiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“, Dieter Kastrup, ist im Hauptberuf UN-Botschafter in New York. Der Vorstandsvorsitzende Michael Jansen leitete einst das Büro von Hans-Dietrich Genscher. Sein Kollege Avi Primor war bis 1999 israelischer Botschafter in der Bundesrepublik. Verhandlungsgeschick und Stehvermögen dürften die drei auch bitter nötig haben. Denn die Verteilung der Entschädigungsgelder an ehemalige NS-Zwangsarbeiter erweist sich als diplomatisches Minenfeld.

Ursprünglich sollte die Auszahlung der 10 Milliarden Mark, die Bund und Wirtschaft im vergangenen Dezember zugesagt hatten, noch in diesem Jahr beginnen. Doch die in den USA anhängigen Klagen gegen deutsche Industrieunternehmen, Banken und Versicherungen verzögerten die Entschädigung. Was der quälende Streit um die Rechtssicherheit für deutsche Unternehmen verdeckte: Die organisatorischen Strukturen zur Verteilung der Mittel sind noch gar nicht vorhanden. Die Verhandlungen der Stiftung mit den Partnerorganisationen in Osteuropa kommen nur stockend voran.

Seit Oktober diskutieren beide Seiten, wie das Geld seine Empfänger erreichen soll – direkt oder über die osteuropäischen Stiftungen, in bar oder per Scheck. Ende des Jahres sollen die Verträge „unterschriftsreif“ sein, sagt der Generalbeauftragte der Stiftung für die Verhandlungen mit den Partnerorganisationen, Günter Saathoff. Die Strategie der Bundesstiftung: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Die Vorsicht der Deutschen ist begründet. Denn die mit der Auszahlung der Gelder betrauten Versöhnungsstiftungen in Polen, Russland, Weißrussland, Tschechien und der Ukraine haben vor allem durch Korruptionsvorwürfe von sich reden gemacht.

Nach der Wiedervereinigung hatte sich Bonn bereit erklärt, den besonders hart betroffenen Opfern des NS-Regimes zumindest eine „humanitäre Hilfe“ zukommen zu lassen. Anders als die in Westeuropa, Israel und den USA lebenden Opfer hatten die osteuropäischen Zwangsarbeiter auch 50 Jahre nach Kriegsende keine Entschädigung erhalten.

400 Millionen Mark sollte daher etwa die 1994 errichtete russische Stiftung an ehemalige Zwangsarbeiter auszahlen – mindestens 170 Millionen Mark davon sind verschwunden, bei Verlustgeschäften und in dunklen Kanälen. Noch immer warten 68.000 Opfer auf ihr Geld. 31.000 Anträge hat die Stiftung laut Stern erst gar nicht bearbeitet. Im Oktober wurde in Hannover ein ukrainischer Abgeordneter verhaftet, der 86 Millionen Mark aus einem Entschädigungsfonds für NS-Opfer veruntreut haben soll.

Die Bundesregierung hätte die Entschädigungsgelder daher am liebsten direkt an die Opfer ausgezahlt – und damit die osteuropäischen Stiftungen umgangen. Verständlich, dass diese von dem Ansinnen wenig erbaut waren, fürchteten sie doch um ihre Existenzberechtigung. Um die Osteuropäer nicht zu verärgern, bleibt der Stiftung nichts anderes übrig, als die Zügel locker zu lassen. „Wenn wir von Partnerorganisationen sprechen, müssen wir sie auch als solche behandeln“, sagt Saathoff.

Um wenigstens einen gewissen Einfluss auf die Verteilung der Gelder zu haben, sind die Deutschen nun bemüht, möglichst viele Knackpunkte vertraglich zu regeln. Die Antragsformulare auf Entschädigung und die Beschwerdeverfahren will die Bundesstiftung einheitlich gestalten. Auch eine Wirtschaftsprüfung steht den Partnerorganisationen ins Haus. Ein Spagat zwischen Aufsicht und Laisser-faire, der selbst für geübte Diplomaten nicht einfach ist. Und auch Verhandlungsführer Saathoff weiß: „Wir können nicht hinter jedes Opfer einen riesigen Kontrollapparat stellen.“

Zunächst würde es allerdings schon helfen, wenn überhaupt ein Apparat vorhanden wäre. So listet das Finanzministerium auf einem Merkblatt zu den Entschädigungsleistungen die „noch einzurichtenden“ Außenstellen der Versöhnungsstiftungen in Tallinn, Riga und Wilna auf. Ob und wann diese aber aufgebaut werden, ist unklar.

Nur eines steht fest: Im April läuft die achtmonatige Antragsfrist für die Opfer aus. Schon jetzt haben Russland sowie die Jewish Claims Conference und die International Organization for Migration, die für Anträge aus Westeuropa, Israel und den USA zuständig sind, das Stiftungskuratorium um Verlängerung gebeten. Die russische Organisation hat noch nicht einmal die entsprechenden Formulare gedruckt.

So ist auch zu erklären, warum es beim Internationalen Suchdienst im hessischen Bad Arolsen bislang seltsam ruhig blieb. Mit einer halben Million Anfragen osteuropäischer Zwangsarbeiter, die einen Nachweis über ihre Beschäftigung brauchen, hatte das weltweit größte NS-Archiv gerechnet. Um die Papierflut zu bewältigen, hatte der Bund im Frühsommer eigens die Mittel für den Suchdienst aufgestockt. 2,88 Millionen Mark zusätzlich, 44 neue Stellen. Ein verkürztes Verfahren sollte den Kollaps verhindern: Die Partnerorganisationen waren angehalten, Anträge nur listenweise einzureichen. Bearbeitungszeit: zwei Monate. Doch der erwartete Ansturm blieb aus. Bislang haben nur Polen und Tschechien Listen eingeschickt. Die rund 200.000 Fälle sind inzwischen geprüft. „Wir haben hier polierte Platte“, sagt Archivverwalter Udo Jost. Er befürchtet nun, dass Arolsen im Frühjahr von Anfragen überrollt wird. In der Zwischenzeit arbeitet sein Team die Einzelanfragen ab.

Schon wird der Ruf nach einem entschiedeneren Auftreten der Bundesstiftung lauter. Sie solle die Partnerorganisationen anhalten, ihre Antragsteller aufzuklären, fordert etwa Klaus Postupa vom Referat Archivfachliche Grundsatzangelegenheiten des Koblenzer Bundesarchivs.

Doch die Stiftung hat genug eigene Probleme. Zwar besitzt sie nach langen Personalquerelen seit Ende September endlich einen Vorstand. Aber eigene Räumlichkeiten oder gar Schreibkräfte hat sie immer noch nicht – die fünf Referenten sind daher bis auf weiteres auf Verwaltungshilfe des Bundesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen in Berlin angewiesen. Ihre Verhandlungsposition verbessert das nicht unbedingt.

Die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft, die im Dezember vergangenen Jahres 5 Milliarden Mark für den Entschädigungsfonds zugesagt hatte, dürfte darüber nicht unglücklich sein. Fehlen ihr doch trotz bundesweiter Briefaktion und aufwendiger Anzeigenkampagnen noch immer 1,6 Milliarden Mark. Stiftungssprecher Wolfgang Gibowski sieht denn auch keinen Grund zur Eile: „Das Geld ist da, wenn es gebraucht wird.“