: Süß die Worte klingelingen
Während Borussia Dortmund nach dem 2:1-Sieg in Rostock die Winterpause mit Gedanken an die Champions League füllt, muss Hansa die Bescherung wieder mit Abstiegsängsten durchstehen
aus Rostock MARKUS VÖLKER
Fast glaubte man, das Prickeln des Sternstaubs auf der Haut spüren zu können, der da im Pressekabuff des FC Hansa Rostock herabrieselte. Angelockt vom strahlenden Lichtkegel des Ostseestadions musste sich wohl irgendein verwirrtes Christkind an den unwirtlichen Ort verirrt haben wie eine lichttrunkene Motte, die verzweifelt gegen die hell erleuchtete Glühlampe knallt. Nun, wo das himmlische Wesen offenbar da war, stimmte es die Trainer Matthias Sammer und Friedhelm Funkel mild.
Sammer hatte sich, nachdem seine Mannschaft ihm Vorfreude bereitet hatte mit dem 2:1-Sieg über die Hanseaten, schick gekleidet. Es war so gut wie sicher, dass der Pennäler im Zweiteiler mit den guten Manieren und dem korrekt gescheitelten Rostkopf nicht mit Reisig verkloppt werden würde, dafür sagte er zu oft Danke und Bitte und lobte sein Team zu überschwänglich. Verdammt stolz sei er, was die Burschen in der Kälte des maritimen Nordostwindes und teilweise unter den Schmährufen der 14.000 Rostocker Fans noch einmal abgeliefert hätten, einfach toll, und das bei sieben verletzten oder gesperrten Stammspielern. Auf dem „Zahnfleisch“ seien seine Borussen vor der Winterpause ja fast gekrochen, „am Limit“ hätten sie gespielt. „Wir haben alle Register zu ziehen versucht“, sagte Sammer und der sanfte Klang der Orgel verstärkte sich zu einem Crescendo, als der Übungsleiter mit der gebotenen Würde verkündete: „Diese Leistung hätte ich meiner Mannschaft nicht mehr zugetraut.“
Doch dann wurde er nachdenklich, die Stirn verrunzelte sich zu einem passablen Mittelgebirge. All dies wegen Torhüter Jens Lehmann, der, so wird aus Lappland, dem Heim von Knecht Ruprecht, kolportiert, wegen seines aufsässigen Wesens diesjahr keine Korinthen und Vanillekipferln kriegen wird. Sammer wollte „ein Wörtchen reden“, weil „Geschenke verteilt“ worden seien, vorzeitig und überdies auch noch an die Falschen.
Was war passiert? Die Borussen führten, bei der Spielweise Hansas, uneinholbar mit 2:0. Giuseppe Reina hatte das erste Tor besorgt, schon in der achten Minute. Otto Addo traf kurz nach der Halbzeit erneut. Lange Zeit schien es, als sollte das von einem spitzbübischen Ordner am Mannschaftsbus der Borussen in den Ruß geschmierte, ortografisch leicht deformierte Menetekel „Looser“ die einzige Warnung an diesem Samstagabend sein, die Rostock dem BVB engegenschleudern kann – bis Keeper Lehmann den Versuch unternahm, seine dritte Rote Karte in Folge im Ostseestadion abzuholen, und sich Victor Agalis Knöchel unter die Achsel klemmte. René Rydlewicz verwandelte den ersten Elfmeter der Saison für Hansa. Lehmann kam straffrei davon. Was dann folgte, mithin gelegentliche Flanken der Rostocker in den Strafraum, versetzte Funkel in Aufregung, er sagte gar, er wisse nicht, ob er derlei Wallungen noch länger hätte ertragen können. Aber nun ist ja ohnehin Pause, deren Erholungswert sich der Rheinländer von nichts und niemandem kaputtmachen lassen wollte. „Man kann nicht nur nach gewonnenen Spielen feiern“, deklamierte er, „man muss es auch nach verlorenen können.“
Noch vor wenigen Tagen sprach Funkel von der „Geilheit nach Toren“, was angesichts der nahenden Festtage jetzt ein übler Fauxpas gewesen wäre. Den sanften Klang der Lyra überstimmte allerdings Martin Pieckenhagen, der Torwart des FC Hansa, mit seiner die Stimmung verhagelnden Botschaft, er werde in der kommenden Spielzeit für den Hamburger Sportverein die Bälle fangen.
Funkel, der in seiner blauen Kutte, dem stapfenden Schritt und der gegerbten Physiognomie wie der fehlfarbene Adjutant des Santa Claus daherkam, zog nach dem Abschluss der ersten Saisonhälfte Bilanz. 21 Punkte seien zu wenig, erkannte er. Schon längst sei keine Mannschaft mit den magischen 40 Punkten vor dem Abstieg gefeit und mehr Tore (bisher 19), wie auch Kapitän Peter Wibran richtig erkannte, müssten demnächst geschossen werden. Nur Bochum (18) hat weniger erzielt.
Dortmund dagegen kokettiert mit der Champions League. „Das wär ’ne Supersache“, sagte Christian Wörns. Lars Ricken aber wollte, bevor er den Bus bestieg, nicht der Hybris das Wort reden und ließ also wissen: „Wir sollten nicht vergessen, wo wir in der letzten Saison standen.“ Weihrauch stieg auf. Oder war’s doch nur Dieselmief aus dem Auspuff?
FC Hansa Rostock: Pieckenhagen - Schröder, Jakobsson, Lantz - Rydlewicz, Wibran (81. Breitkreutz), Brand (72. Majak), Yasser - Arvidsson, Agali, Baumgart (81. Emara) Borussia Dortmund: Lehmann - Wörns, Oliseh, Nijhuis - Evanilson, Heinrich, Nerlinger, Addo - Ricken, Bobic, Reina Zuschauer: 14.000; Tore: 0:1 Reina (7.), 0:2 Addo (47.), 1:2 Rydlewicz (57./Foulelfmeter)
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