Bei BSE geht’s um die Wurst

Nach Fleisch steht jetzt auch Wurst unter BSE-Verdacht. Bundesregierung prüft Rücknahme älterer Wurstwaren. Vor allem Dauer- und Dosenwurst betroffen. Kanzler: „Wir haben nicht aufgepasst“

BERLIN taz ■ Nach dem Fleisch ist nun die Wurst dran. Weil EU-Gesundheitskommissar David Byrne gestern öffentlich darauf hinwies, dass ältere deutsche Wurstwaren BSE-Risikomaterialien wie Rinderhirn und Rückenmark enthalten könnten, prüfte gestern die Bundesregierung eine Rücknahme solcher Waren.

Die Experten von Gesundheits- und Landwirtschaftsministerium halten eine Rückrufaktion nicht für notwendig. Theoretisch verseucht sein können nur Wurstprodukte, die vor dem 1. Oktober hergestellt wurden, da nach diesem Datum EU-weit die Verarbeitung von Risikomaterialien verboten wurde. Dänemark hat entsprechende Fleischwaren bereits beim ersten BSE-Fall im März sofort aus dem Verkehr gezogen.

Da es in Deutschland sehr viele Wurstrezepte gibt, kann ein Überblick darüber, welche Wurst Risikomaterialien enthalten könnte, nur schwer geschaffen werden. Hinzu kommt, dass auf den Fleischwaren zwar das Mindesthaltbarkeitsdatum, nicht aber das Herstellungsdatum steht. Meist werde zur Wurstherstellung sowieso Schweinefleisch genommen, da dies billiger sei, sagte ein Sprecher des Bundesverbandes der deutschen Fleischwarenindustrie.

Wie der Technologe Wolf-Dietrich Müller von der Bundesanstalt für Fleischforschung in Kulmbach erklärte, ist das Risiko, dass Rinderhirn bei der Verarbeitung des Tieres ungewollt in Fleischwaren und damit Wurst gelangt, gering, aber nicht ausgeschlossen. Nach seinen Angaben werden Rinderköpfe abgetrennt und als Ganzes in der Tierkörperverwertungsanstalt entsorgt. „Alles andere wäre viel zu aufwendig und unrein“, sagte er. Auch Rückenmark würde abgesaugt und entfernt. „Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass da mal was auf das Fleisch fällt“, sagte er. Das ist insofern nicht unbedenklich, als ein halbes Gramm BSE-verseuchtes Material reicht, um ein Tier zu infizieren. Außerdem könnten natürlich „kriminelle Machenschaften“ nicht ausgeschlossen werden. In den vergangenen Monaten hatte es wiederholt Meldungen gegeben, wonach in Würsten undeklariertes Hirn gefunden wurde, bei dem aber nicht sicher war, ob es Schweine- oder Rinderhirn war. Das Risiko BSE-verseuchter Wurst hält er auch deshalb für sehr gering, weil der Handel frische Wurst schnell verkauft – ältere Rohwurst sei kaum auf dem Markt. Damit wären, wenn überhaupt, nur Dauer- und Dosenwurst betroffen.

Bundeslandwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke (SPD) räumte gestern nach dem Bekanntwerden der beiden bayrischen BSE-Fälle ein, dass mit „Dutzenden“ BSE-Fällen bei deutschen Rinderherden gerechnet werden muss. Bundeskanzler Gerhard Schröeder (SPD) stellte sich vor seinen Parteikollegen: „Ich gebe doch zu, wir haben alle nicht aufgepasst“, erklärte er gestern auf einer Veranstaltung.

Ein generelles Rindfleisch-Verkaufsverbot hält Funke nicht für notwendig, auch wenn der Infektionsweg des Allgäuer Rindes nicht geklärt ist. Das Ministerium kündigte an, die Forschung über die Infektionswege zu verstärken. Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) setzt vor allem auf neue Tests, die BSE am lebenden Rind nachweisen können. Der Pharmakonzern Boehringer-Ingelheim dämpft jedoch voreilige Hoffnungen auf solche Tests. MRA

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