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Schön bunt

Zugegeben, der „Friede“ gröhlende Böllsche Engel wäre meinen Eltern nie auf den Baum gekommen. Eine Spitze, selbst eine, die nicht spricht und nur silbern ist und mit Engelshaar verziert – dazu konnten sie mit voller Überzeugung Nein sagen. „Natürlich“, beschrieb mein Vater streng den Zustand des wahren Christbaums, „schön bunt“, attestierte meine Mutter – eine Kombinationsmöglichkeit übrigens, die sie bei der Begutachtung meines 14-jährigen, kunstvoll geschminkten Gesichts stets strikt geleugnet hatten. Die bunte Natürlichkeit entstammte einem riesigen Blechkasten, der vormals Nürnberger Lebkuchen beherbergt hatte. Nun enthielt er das, was meine Schwester und ich in Kindergarten und Grundschule mühsam gefertigt hatten: wacklige Strohsternkonstruktionen, obskure Gebilde aus Stanniolpapier, ungelenk ausgesägte Holzfigürchen ..., und all der niedliche Tand wurde unter gerührten Kommentaren und Jahr für Jahr an den Baum gehängt. Beziehunsgweise, er wird es noch: Meine Schwester hat sich der rührseligen Kiste angenommen, und bei ihr verbringen wir inzwischen in der Regel das gemeinsame Fest. Bis auf diesmal: „Kein Baum“, beschied ich mit geheucheltem Bedauern Mutter und Schwester, „dafür ist unsere Wohnung zu klein.“ Offenbar doch nicht. Der Mann, an den ich die zwanzig schönsten Jahre meines Lebens verschwendet habe, hat klammheimlich eine klitzekleine Tanne gekauft. Und wenn mich nicht alles täuscht, dann ist auch die Blechkiste schon auf dem Weg nach Hamburg.

Birgit Hoyer

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