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Selbstmord beim Taubenfüttern

„Graben im Wort“: Balduin Winters Essays über die Schriftsteller Böhmens, Mährens und der Slowakei

Da gilt Österreich ob seiner überquellenden Kulturtöpfe als Paradies der Literaten. Jeder, der Autor sein will, flüstern böse Zungen, kann sich durch die Stipendien fressen. Nordbayern hingegen genießt den Ruf, dass ein Literaturmensch die Region meiden muss, sofern er nicht von vornherein scheitern will.

Um nach einer Karriere bei der Salzburger Post eine zweite als Publizist zu beginnen, übersiedelte Balduin Winter vor etwa einem Jahrzehnt ausgerechnet nach Fürth. Sein Fachgebiet sind die literarischen Spielarten, die in Mittel- und Südosteuropa gepflegt werden. In Essays und Autorenporträts unternimmt er Kopfreisen durch die gesellschaftlichen und politischen Gefielde des ehemaligen Kakaniens. Kein Wunder, dass er im heimischen Autorenzirkus eine eher randständige Figur ist.

„Graben im Wort“ heißt ein erster Band, der seine verstreut publizierten Essays über Schriftsteller aus Böhmen, Mähren und der Slowakei zu einer sehr persönlichen Literatur- und Ländergeschichte bündelt. Beginnend mit Jaroslav Hašek und seinem bauernschlauen Soldaten Schwejk schlägt Winter einen Bogen von der Moderne zwischen den Weltkriegen, als die Tschechoslowakei als Musterland unter den europäischen Demokratien galt, zu den exzentrischen Dissidenten der kommunistischen Ära. Und weiter zur Postpostmoderne der Gegenwart, in der ein nationaler Graben durch den letzten Rest des Vielvölker-Kakaniens gezogen wird.

„Eigentümlich“ wäre ein Wort, das die von Winter vorgestellten Charakterköpfe auf einen Nenner bringen würde. Man denke an Bohumil Hrabal. Die bezaubernde Anekdote über dessen Tod 1997 muss „Graben im Wort“ allerdings korrigieren: Beim Taubenfüttern sei der Dichter aus dem Krankenhausfenster gestürzt. In Wirklichkeit war es Selbstmord. Hrabal war der Erste, der die anarchische Leichtigkeit und den Surrealismus seiner Vorgänger Hašek und Kafka mit dem amerikanischen Beat vermengte. Der Grundstein eines wilden, scheinbar unkontrolliert fabulierenden Sounds war gelegt, mit dem der Underground bis zum Zerfall des Ostblocks die Frühlingsgefühle der 68er hoch hielt. Die Schriftsteller der Gegenwart wie Jáchym Topol, die das Roadmovie eines so auch nicht gewollten Kapitalismus singen, sind ihm treu geblieben.

Dazu kann man aber auch viele Schriftsteller, die sich den politischen Unbilden ihrer Zeit entgegenstemmten, entdecken. Etwa Jan Patocka, Sprecher der Charta 77, gestorben während eines Polizeiverhörs. Oder Dominik Tatarka, den Winter mit Worten würdigt, die gleichzeitig sein eigenes Verhältnis zur engagierten Schriftkultur von Prag und Bratislava umreißen: „Was bleibt, ist ein europäisches Werk als Feuerzeichen für die Literatur der Slowakei.“ MARTIN DROSCHKE

Balduin Winter: „Graben im Wort“. Literarische Essays zu Böhmen, Mähren, Slowakei. Mit einem Nachwort von Karl-Markus Gauss. Edition Thanhäuser, Ottensheim a. d. Donau 2000, 144 Seiten, 40 DM

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