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Von Summen und von Teilen

My ambition weighs a ton: Die Hamburger „Kante“ und ihr neues Album „Zweilicht“  ■ Von Alexander Diehl

„Der Stolz der Abreise, in dem bereits das Glück, der Stolz des Sterbens mitschwang, wird hier deutlich von irgendeinem Triumph der Ankunft erfüllt. Vor allem, wenn das Schiff mit Musik ankommt; dann verbirgt sich in dem Kitsch (dem nicht kleinbürgerlichen) etwas vom Jubel der (möglichen) Auferstehung aller Toten.“ (Ernst Bloch, „Kleine Ausfahrt“)

 Ihre euphorische Plattenfirma machte es spannend: Zweilicht, das zweite Album der Hamburger Band Kante, lag eigentlich schon im Spätherbst vor. Da beschloss man, die Veröffentlichung auf den Jahresbeginn zu verschieben; ob der Größe – so hieß es seinerzeit – dessen, was dort in rund eineinhalb Jahren Arbeit vor Computerbildschirmen, im Proberaum und im Studio zusammengekommen war. Mochte dieses Vorgehen eine den publizistischen Vorlauf berücksichtigende Marketingentscheidung sein; die (inszenierte) Spannung indes, das Ansteigen und Brummen einer in Aussicht gestellten Sensation, die Andeutung und die vereinzelt schon nach draußen dringende Spur: All das findet sich auf Zweilicht wieder, erlangt so Schlüssigkeit. Textlich ist das räumlich-transithafte zwischen-den-Orten-Sein des (gleichnamigen) Debütalbums zurückgetreten zugunsten eines zeitlichen Themas; mit den Lichtverhältnissen (nicht nur im Titel) sind jeweils Tageszeiten gemeint, da ist vom ers-ten Licht des Morgens und dem Aufwachen die Rede; vom Werden, wenn man so will. Nicht von ungefähr, dass Peter Thiessen, Sänger und Gitarrist, „immer auch sowas wie Utopie oder eine bessere Welt“ als Qualität an geschätztem Jazz hervorhebt (in: Intro 12/2000-1/2001); in der Vorabsingle – musikalisch auf eine falsche Fährte lo-ckend, textlich präzise – „Die Summe der einzelnen Teile“ heißt es: „Wir leben von einem Glauben/der unserer Gegenwart vorauseilt“.

Musikalisch, und das sollte nicht von ungefähr noch die wichtigere Kategorie sein, ist eine Differenzierung der Mittel festzustellen: Zwischen den Orten ließ sich vergleichsweise homogen an und wurde, nicht nur aus Gründen zufälligen zeitlichen Zusammenfallens, in aktuelle Begriffe wie Postrock gefasst. Zweilicht ist vielstimmiger und zitiert, ohne manifesthaft oder gelehrig vorzugehen, zwischen Bob Dylan und Talk Talk, Afrofuturismus und gelegentlichem ein wenig bauchig-gedrechseltem Roots-Rock, Jazz und Cpt. Kirk & oder auch Sonic Youth.

Das Hinausschieben des Albums könnte dabei nicht zuletzt mit sich bringen, dass Kante nicht mehr als unbedingt nötig in jene kurzfristige (Wieder-) Entdeckung eines Epischen hineingezogen werden, im Zuge deren einige Teile der über Musik schreibenden Zunft anhand radioformatsprengender Neuerscheinungen von Godspeed You Black Emperor!, Radiohead und Sigur Rós von kurzfritiger Gesamtkunstwerksehrfurcht überwältigt zu werden schienen, als Kosmos und Zeitlosigkeit überraschende Renaissancen erfahren sollten, man Sachen einfach nicht mehr in Worte fassen zu können (wollen?) glaubte. Mit derlei haben Kante, hat Zweilicht nichts zu tun; bei aller Großangelegtheit und Breite (i.e. Länge) der Stücke verweisen die Bandmitglieder gerne auf die Materialität von Musik. Und trotz Absage an die Verabsolutierungen des Zeichen- und Verweischarakters am klanglichen Ereignis: Esoterisch ist das Verhältnis der Band zu ihrem, tja, Produkt nicht. Und die an gleicher Stelle betonte „Liebe zur Musik“ lässt sich allenfalls grob fahrlässig (um nicht zu sagen: böswillig) einordnen in ein Romantikverständnis, aus dem dann ein „spezifisch Deutsches in der Popmusik“ (Frankfurter Rundschau, 29.12.00) abzuleiten wäre.

Zweilicht ist ausgesprochen kunstfertig angelegt und ausgeführt; die vielen Instrumente, wie Produzent Tobias Levin off the record erzählt, wurden bewusst eher neben- als übereinander gelagert. So ist, bei aller Sorgfalt im Finden der einzelnen Stimmen, keine Rockplatte herausgekommen (sei sie nun analog oder elektronisch); statt des „Vatermords“ (Peter Thiessen) an früheren Musiken (vgl. Postrock) herrscht ein Bekenntnis zum eigenen Teil-der-Geschichte-Sein. Über die Rezeption freilich haben auch die ambitioniertesten Autoren keine Kontrolle.

Zweilicht erscheint auf Kitty Yo/EFA.

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