: Zur Schau gestellter Apparat
Den Untiefen des Zuschauens widmet das Metropolis im Januar die Filmreihe „Secret Cinema“ ■ Von Urs Richter
John de Mol ließ das Küken gewinnen, und Sat 1 hat gerade dem ersten echten Millionär die Brautschau ausgerichtet, inklusive Bademodennummer. Im privatanstaltlichen TV-Puff lautet die Frage nicht mehr, ob, sondern nur noch wann „die ersten zwei Nackten kopulieren“ (Helmut Thoma). Die Sender überbieten sich im Versuch zu inszenieren, was sich gerade nicht inszenieren lassen soll: den emotionalen Kollaps, Ebrus Heulkrämpfe. Fernsehen bedient eine Art Unfallvoyeurismus.
Das Kino ist abstrakter. Es lockt grundsätzlich mit seinem Schauwert. Im Saaldunkel sind wir alle Voyeure. Doch Unfälle gibt es keine. Das Kino hilft sich, indem es seinen eigenen Sehapparat zu sehen gibt: Meta-Exhibitionismus. Dann gibt es Unfälle. Truman Burbank knallt ein Scheinwerfer vor die Füße – aus der Studiodecke, unter der er dreißig Jahre ahnungslos gehalten wird. Wo das Kino zum „Secret Cinema“ wird, legt es sein Geheimnis offen. Und versteckt es umso gründlicher.
Nur dünn kaschiert unter der Krimihandlung weidet sich der Hinterhofblick in Alfred Hitchcocks Rear Window (1954) an der Genrepalette: Im Loft schräg oben arbeitet ein Komponist. Eiserne Disziplin, betrunkene Verzweiflung, Geniestreich, Party. Dann steht ein Mädchen am Klavier und lauscht verliebt. Hinter den Fenstern gegenüber, 2. Stock, das Melodram der einsamen Trinkerin. Gegenüber, 4. Stock, eine Tragikomödie mit totem Pudel. Jimmy Stewart sitzt mit Beinbruch im Rollstuhl. Es juckt unterm Gips. Dann macht der bullige Nachbar einen Fehler. „Eine Frau würde nie ihre Juwelen und ihre Lieblingshandtasche zurücklassen, wenn sie in Kur fährt“, sagt Grace Kelly, die es wissen muss. Also doch ein Verbrechen. Am Ende rettet sich der Held, indem er die Augen fest zupresst. Hitchcocks letzter, etwas verächtlicher Hinweis, dass wir nur sehen, was er uns sehen macht.
Hören, was nicht zu hören ist, muss Gene Hackmann in Francis Ford Coppolas The Conversation (1973). Er ist professioneller Lauscher, „der Beste“, im Besitz der Technik, er erfüllt Aufträge. Danach sterben manchmal Menschen, darüber darf er nicht nachdenken. Sondern er richtet seine Mikrophone auf das spazierende Paar und destilliert aus dem Frequenzsalat etwas Interpretierbares, einige Satzfetzen als Beweis. Der Film entwirft ein großartiges auditives Pendant zu Antonionis Blow up. Der Apparat wendet sich gegen seine Benutzer, das Dokument gibt die Verantwortlichkeit zurück an die, die es deuten. Weil Hackmann weiß, was das technisch Mögliche ist, wird er paranoid am Wirklichen. Wo die Sphäre des Privaten durch die Feinheit der Informationsfilter bestimmt ist, löst diese Sphäre sich auf. Ein Auto-Unfall.
Aber was nützt der Apparat, wenn kein Unfall mehr zu observieren ist? Dann muss sogar der inszeniert werden. Bertrand Taverniers Death Watch – Der gekaufte Tod spielt in einer zukünftigen Welt, die keine Krankheiten und keinen Tod mehr kennt. Harry Dean Stanton als TV-Produzent wittert die Quote und manipuliert Romy Schneider. Die Gesunde glaubt sich tödlich erkrankt und verkauft dem Sender das Recht auf ihre letzten Tage. Auf der Flucht – Teil ihres Plans – hilft ihr Harvey Keitel. Verliebt schaut sie in seine verliebten Augen. Hinter denen arbeitet der Apparat. Das Dilemma bleibt: Je besser die Technik funktioniert, desto genauer registriert sie, dass gar nichts zu sehen ist, dass sie blind bleibt.
Deutlich naiver erfasst Sam Peckinpahs letztes Werk The Osterman Weekend (1983) das Thema. Auch hier dient der Apparat der Manipulation. Mit seiner Hilfe werden Überwachungssequenzen zu einer fiktiven Intrige montiert, durch die das CIA den „kritischen“ Fernsehmann Rutger Hauer loswerden möchte. Elegant erlegt durch seinen eigenen Bekanntenkreis. Zwei Volten zum Ende bestätigen jedoch, was Coppola und Tavernier gerade dementiert hatten: die Beherrschbarkeit des Apparats, sein aufklärerisches Potential. Aber ehrlich: Was wissen wir jetzt über das Küken?
es laufen noch: The Truman Show: heute, 17 Uhr; Die 1000 Augen des Dr. Mabuse: Do, 11. bis Sa, 13.1., 17 Uhr + So, 14.1., 21.15 Uhr; Death Watch – Der gekaufte Tod: Mo, 15.1., 21.15 Uhr + Di, 16.1., 19 Uhr; The Conversation: Mo, 22.1., 17 Uhr + Mi, 24.1., 22 Uhr; Rear Window: 22.1., 21.15 Uhr, 23.1., 20.30 Uhr, 24.1., 17 Uhr; Das Osterman-Weekend. 25. + 27.1., 17 Uhr, 30.1., 21.15 Uhr
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