■ H.G. Hollein: Fragwürdig
Die Frau, mit der ich lebe, zeigt bedenkliche Anzeichen von Ehrgeiz. Sie hat sich in den Kopf gesetzt, dass ich Millionär werde. Genau genommen will sie die Million, und ich soll den Affen machen. Angespornt wird die Gefährtin durch das ungute Beispiel ihres Kollegen P., der die Hälfte seiner Arbeitszeit damit verbringt, sich in die Vorauswahlen von Pilawa, Jauch & Co. einzuloggen. Den Rest der Zeit nutzt P., um sich mit eiserner Disziplin auf seinen großen Tag vorzubereiten. Tapfer absolviert er im Internet Runde um Runde von „Wer wird Millionär?“ und ist mittlerweile in der Lage, selbst die Fragen der indischen Ausgabe rupienträchtig zu beantworten. Geholfen hat ihm das bisher nichts. Aber die Gefährtin meint, ich solle mir gefälligst ein Beispiel an dem nehmen, was P. für seine Gefährtin zu tun bereit sei. Irgendwie hat meine Gefährtin in solchen Momenten etwas von einer Heldenmutter: „Du kommst entweder als Sieger zurück oder gar nicht!“ glitzert es unausgesprochen in ihren eisigen Augen. Ich für mein Teil stehe jedenfalls über einer derart unverhohlenen Gier nach leichtverdientem Mammon. Ich finde ja, mit einer Million auf dem Konto ist die Spannung raus aus dem Leben, und die Gefährtin liegt mir ohnehin schon zu häufig antriebslos im Bett. Überdies hat es etwas niedrig-eitles, den über Jahre gesammelten Schatz seines Wissens um einer schnellen Mark willen vor einem missgünstig geifernden Millionenpublikum preiszugeben. Nicht, dass ich es mir nicht zutraute, aber bei einer Frage nach dem Komponisten der „Vier Jahreszeiten“ zwischen Vi- und Da-ckel Waldi wählen zu müssen, fände ich eine intellektuell unzumutbare Pein. Da spare ich mich doch lieber auf für die wirklich großen Fragen des Lebens. Etwa die, ob mich die Gefährtin ab Ende Januar ohne größere Widerstände „Girlscamp“ gucken lässt.
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