FERNSEHSTREIT IN TSCHECHIEN: AM HARTNÄCKIGSTEN SIND DIE LEGENDEN: Vom lieben und vom bösen Václav
Prag ist in diesen Tagen ein guter Ort für Mythen und Legenden. Für die Geschichte vom bösen Václav etwa, dem intriganten Neoliberalen, der das öffentlich-rechtliche Fernsehen ČT in sein Parteiorgan verwandeln will. Oder die Legende vom guten Václav, dem weisen Präsidenten, der ebendies zu verhindern sucht. Und auch geschichtliche Vergleiche sind derzeit modern. Eine gerade Linie wird von den Hussiten zu den Haveliten gezogen. „Die Wahrheit wird siegen“ lautet(e) der Wahlspruch beider. Nur: In Prag hat sie jetzt wieder einmal verloren.
Mythos Nummer 1: Wie inzwischen aus verschiedenen Quellen verlautet, wurde Klaus von der Wahl von Jiří Hodáč zum Direktor des Tschechischen Fernsehens überrascht und war darüber wenig glücklich. In den letzten zehn Jahren ist die tschechische Politik jedoch ausnahmslos vom Dualismus Havel-Klaus bestimmt worden. Als Havel sich für die streikenden Journalisten entschied, war damit auch die Rolle von Klaus definiert.
Mythos Nummer 2: Nach dem Hodáč-Rücktritt scheint Václav Havel der Sieger dieser Tage zu sein. Endlich, so freut er sich, sei die zivile Gesellschaft wieder für ihre Interessen aufgestanden Nur: Wo war der Präsident eigentlich in den letzten zehn Jahren? Standen ihm auf dem Hradschin nicht genug Mittel zur Verfügung, um den Aufbau dieser Zivilgesellschaft stetig voranzubringen? Lieber jedoch hielt der Präsident philosophische Reden und wunderte sich dann, dass sich niemand an seine Aufforderung hielt, ein besserer Mensch zu werden. Die jetzt so gefeierten Journalisten aber haben in diesen zehn Jahren seit der samtenen Revolution gleich vier verschiedenen Herren gedient. Zuerst schrieben sie für Havel, dann für Klaus. Es folgte ein kurzes Zwischenspiel für die Sozialdemokraten, und nun propagieren sie wieder die Politik der Parteien, die dem Präsidenten nahe stehen.
Schließlich zum letzten und größten Mythos. Dem der freiheitsliebenden Tschechen und Tschechinnen. Natürlich, wir alle haben diese bewegten Bilder im Kopf: Demonstranten auf dem Wenzelsplatz 1968, 1989 und jetzt 2001. Doch – gibt es in diesem Land eigentlich zwei Völker? Ein Volk, dass sich gegen die sowjetischen Panzer stellt, und ein anderes, das sich wenig später von der KP mit fetten Prager Würsten kaufen lässt? Ein Volk, das die landesweite Korruption mitmacht und unterstützt, und ein anderes, das gegen diese demonstriert? Der Schriftsteller Pavel Kohout hat seine Mit-Tschechen schon vor zwanzig Jahren als kleine Schwejks entlarvt. Durchmogeln, nicht offene Opposition ist die Lebensweisheit der Tschechen. Die Charta 77 war eben keine Solidarność.
Dennoch sind diese Tage entscheidend für das Land. Doch nicht Václav Havel, sondern Vladimir Zelezny heißt der Gewinner des Fernsehstreiks. Der Direktor des größten tschechischen Privatsenders TV Nova hat nicht ohne Grund als einer von wenigen Hodáč unterstützt. Mit Sendetechnik und wütenden verbalen Ausfällen gegen die „Recht und Gesetz brechenden“ Journalisten. Zeleznys Überlegung war klar: Je länger der Streik dauert, um so mehr wird das öffentlich-rechtliche Fernsehen geschwächt. Schon vor der Krise erreichte Nova nicht selten eine Zuschauerquote von 70 Prozent; inzwischen sind weitere Werbekunden von ČT zu ihm abgewandert, Prozesse wegen des unterbrochenen Sendeschemas werden die Öffentlich-Rechtlichen und auch den parlamentarischen Fernsehrat noch lange beschäftigen. Damit jedoch verzögert sich die geplante Verteilung der Lizenzen für das digitale Fernsehen. Und auch dies nützt Nova. Denn digitalesTV bedeutet mehr private Sender und damit weniger Werbeeinnahmen.
Zelezny, einst Sprecher von Havels Bürgerbewegung, ist heute der einflussreichste und vermutlich reichste Mann der Republik. Gerne sah er sich schon selbst auf dem Hradschin sitzen, doch ein langjähriger öffentlicher Streit mit seinen US-amerikanischen Finanziers hat dies zumindest vorerst verhindert. So steuert er die Politik des Landes per Fernsehen. Bereits im letzten Parlamentswahlkampf trug er dazu bei, eine größere Niederlage von Klaus zu verhindern. Angesichts der Schwäche von ČT ist nun jeder Politiker, der etwas werden will, von Zelezny abhängig. Denn die gestrige Demonstration für die Freiheit des Wortes dürfte wohl die letzte gewesen sein. Die Tschechen gehen nach Hause und setzen sich vor den Fernseher. SABINE HERRE
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