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Das Zittern vor dem E-Day

Der Euro kommt und macht Angst: Wie die Automatenindustrie auf einem Kongress die Furcht vor der neuen Währung bannte

von VOLKER WEIDERMANN

Der Euro ist da. Seit Juli 1999 werden alle zur Verfügung stehenden Druck- und Prägekapazitäten des Bundes dazu genutzt, das neue Geld zu produzieren. Ein großer Teil der benötigten Menge ist ausgeprägt und ausgedruckt: 4,3 Milliarden Banknoten im Wert von 264,9 Milliarden Euro und 17 Milliarden Münzen, etwa 80.000 Tonnen schwer, im Wert von 5,3 Milliarden Euro. Das ist die Erstausstattungsmenge. Der erste Barbedarf im Jahr 2002. Dem Jahr, in dem die D-Mark abtritt und Platz macht für ihren supranationalen Nachfolger. Aber wo ist er? Wer hat ihn gesehen?

Der Euro ist ein Geheimnis. Und der Euro macht Angst. Würde heute die deutsche Bevölkerung darüber abstimmen, ob sie die D-Mark gegen den Euro tauschen will, nur 34 Prozent wären dafür. Der Euro ist eine Bedrohung, ein unbekanntes Tauschobjekt, das den Menschen aufgezwungen wird, ein Geldersatz, von dem sie keine Vorstellung haben, wie viele Schaubildchen und Euro-Fan-Plakate die Bundesregierung auch verteilen mag. Einen altbekannten Hort der Sicherheit, der Stabilität und des Vertrauens soll man eintauschen gegen ein unbekanntes Produkt, von dem ritualartig behauptet wird, es sei stabil und sehr, sehr sicher. Aber haben die, die das beharrlich wiederholen, den Euro je gesehen?

Nikolaus Hoffmann hat ihn gesehen. Er hat den Euro sogar ein halbes Jahr lang getestet. Und er ist nicht sehr zufrieden. Hoffmann gehört zu den wenigen Geweihten, die zu den beiden streng gesicherten deutschen Euro-Testzentren in Mainz und Hamburg Zutritt haben. Seine Ratinger Firma Hoffmann Distributions-Technik stellt Münzprüfer her. Für Cola- und Zigarettenautomaten etwa. Seine Neugeld-Testerfahrungen beschreibt er so: „Wir haben bereits nach sechs Monaten festgestellt, dass die Euromünzen einem größeren Verschleiß unterliegen als zum Beispiel die DM-Münzen.“ Im Vergleich müsse man feststellen, „dass DM- und Pfennig-Münzen 50 Jahre und mehr den laufenden Betrieb mit geringen Veränderungen überdauert haben“.

Der Euro ist zu weich

Da schwingt Wehmut mit von einem, dessen Maschinen lange Jahre eine der stabilsten Münzen der Welt prüfen durften. Aber auch die neue Münzweichheit wird schnell zur Geschäftschance umgedeutet: Seine Münzprüfer, man denke da vor allem an den hochmodernen Euro-Prüfer T-12, könne man „bei verstärkten materialmäßigen Veränderungen der Euro-Münzen sehr schnell manuell im Selbstlernverfahren auf solche Entwicklungen umstellen“.

Hoffmann ist Referent auf dem Euro-Kongress, den der Bundesverband der Automatenunternehmer zusammen mit der Europäischen Kommission im Rahmen der Automatenmesse in Nürnberg veranstaltet hat. Nicht alle sehen der Bedrohung Euro so gefasst ins Auge wie Herr Hoffmann.

Die Stimmung unter den etwa 700 Kongressteilnehmern im Saal Brüssel ist unruhig. Ein Herr vom Wechselautomatenhersteller GBT eilt mit leicht verwirrtem Haar ans Saalmikrofon und berichtet aufgebracht von Euro-Münzdiebstählen in Holland, die vermuten lassen, dass die Mafia schneller als die Europäische Zentralbank auf den Währungswechsel eingestellt sein wird. Außerdem weiß er, obwohl er offenbar keine Zugangsberechtigung zu den Euro-Testzentren hat: „Die kleineren Münzen sind ziemlicher Schrott“, so habe er zumindest gehört. Das hat Peter Walther von der Deutschen Bundesbank nun aber ganz anders gehört. Anonym ausgefüllte Fragebögen in den Testzentren hätten eine hohe Geldzufriedenheit der Tester ergeben. Die neuen Münzen seien „durch die Akzeptoren gut abzugreifen“ und „nicht leicht herzustellen“. Er schwärmt von dem neuen, nie zuvor verwendeten Material „Nordisches Gold“, das bei den 50-, 20- und 10-Cent-Münzen Verwendung finde. Und Yannis Xenakis von der EU-Kommission behauptet knapp: Die 1- und 2-Euro-Münzen seien „die sichersten Münzen der Welt“.

Die Automatenhersteller sind nur halb beruhigt. Ihr Industriezweig ist ohnehin gerade leicht gebeutelt. Nur halb so viele Aussteller wie beim letzten Mal sind in diesem Jahr nach Nürnberg gekommen. Die Umsätze stagnieren, Paul Gauselmann, größter Glücksspielhersteller Deutschlands und Vorsitzender des Verbandes der Deutschen Automatenindustrie, klagt über die „Geisel Vergnügungssteuer“, die seine Gewinne auffresse. Aber das Hauptleid heißt natürlich „Euro“. 1,1 Milliarden Mark wird die Umrüstung der 2,4 Millionen Automaten in Deutschland kosten. Außerdem hat Gauselmann eine „faktische Währungsenteignung“ ausgemacht, da der Mindesteinsatz seiner Glücksspielgeräte jetzt nicht mehr 40 Pfennig, sondern 20 Cent betrage. Ein Verlust von 2,21 Prozent. („Unter uns“, sagt der ziegenbärtige Unternehmer später, als er keine Politiker mehr im Raume wähnt: „Wir wissen natürlich, dass der Spieler, wenn er noch Geld in der Tasche hat, einfach weiterspielt. Da sind die zwei Prozent schnell wieder drin. Aber das müssen wir den Politikern ja nicht erzählen.“)

Raum Brüssel atmet auf

Aber seinen verängstigten Verbandsmitgliedern muss er es erzählen. Und die schöne Aussicht, dass mit dem bedrohlichen Phantom Euro vielleicht sogar Geld zu machen ist, lockert die Stimmung im Raum Brüssel merklich. Die Spannung löst sich weiter, als klar ist, dass jeder der anwesenden Automatenaufsteller ab 1. September 2001, vier Monate vor dem Rest der Bevölkerung, Euros in beliebigen Mengen ordern kann. Nicht wie der gemeine Bürger, der erst am 17. Dezember ein Euro-Kennenlernpaket, den so genannten Starter-Kit mit Euro-Münzen im Wert von 20 Mark erstehen kann. Denn die gigantischste Geldtauschaktion in der Geschichte wird gut vorbereitet sein. Und jede Geldausteilungs- und Geldwechselinstitution in Deutschland wird lange vorher mit Euro bestückt. Denn ab dem 1. 1. 2002, dem E-Day, dem finanziellen Big Bang, wird es sehr schnell gehen. Einer Prognose der Bundesbank zufolge werden schon am 8. Januar 98 Prozent aller Bargeschäfte in Euro abgewickelt werden. Nur eine Woche Zeit also, um einerseits 2,8 Milliarden DM-Geldscheine und mehr als 48 Milliarden Münzen einzusammeln und das Äquivalent in Euro auszugeben.

Da muss das Zittern der Automatenindustrie vor dem Euro-Phantom rechtzeitig gebannt sein. Und in Nürnberg gibt man sich damit alle Mühe. Auf dem Tisch jedes Kongressteilnehmers liegen Schokoladen-Euro-Münzen, die wie durch Zauberhand stets erneuert werden, wenn man sie verspeist hat. Überall auf dem Messegelände verteilen verkleidete Hasen und ein Vogel Strauß riesige Schoko-Euros, es gibt eine Euro-Bar, und am Abend treffen sich 1.200 Automatenindustrielle zu einem großen Euro-Bankett in der Frankenhalle. Eine kulinarische Reise durch Euro-Land ist angekündigt, und bei der gemeinsamen Verspeisung von spanischer Paella mit finnischen Lachsbrötchen und deutscher Bratwurst wird in einem gemeinsamen kultischen Verzehrungsritus der böse Geist Euro gebannt.

Später, beim Irish Coffee, lehnt sich die versammelte Automatenriege, große Zigarren rauchend, entspannt zurück und lässt die Altstars von Boney M auf der Bühne für sich tanzen und singen. Das neue Geld, es droht nicht mehr. Es ist eine Verheißung. Und ein Veteran seufzt glücklich: „Das ist der schönste Tag in meiner 50-jährigen Automatenaufstellerkarriere.“

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