: Verlieren für die Zukunft
Felix Magath hat mit Eintracht Frankfurt das große Ganze im Blick. Um zur Meisterschaft zu gelangen, nimmt der Trainer mit der 1:5-Niederlage gegen den 1. FC Köln schon einmal kräftig Fahrt auf
aus Frankfurt KLAUS TEICHMANN
Die Welt ist vielleicht doch noch vor dem Abgleiten in die Barbarei zu retten. Seit drei Tagen gibt es wieder Hoffnung. Vor Wochenfrist kommandierte ein deutscher Debil-Talker, der nur noch Onanievorlagen für Altersheime produziert, mit Diego Armando Maradona den größten Fußballspieler aller Zeiten wie einen Schulbuben im ZDF-Studio herum. Anschließend wollte man der Welt im Sportstudio ernsthaft glauben machen, dass Rodeln eine Sportart sei.
Der Erhalt minimaler zivilisatorischer Standards hat mit dem Beginn der Fußball-Bundesliga wieder eine Chance. Menschliche Gesellschaften sind zu mehr in der Lage, als auf dem Rücken zu liegen und zu versuchen, sich nicht zu bewegen. 30.000 Menschen feierten am Samstag im Frankfurter Waldstadion die Rückkehr der wesentlich komplexeren Sportart Fußball. Nach 90 Minuten feierten freilich nur noch 5.000. Der Rest wurde eingeholt vom Fan-Alltag: Scheiße – verloren – Abstiegsplatz. Auch noch 1:5 gegen den höchst durchschnittlichen Aufsteiger 1. FC Köln. Für Eintracht-Coach Felix Magath war das Spiel schnell abgehakt, denn Magath ist Schachspieler und ein großer Stratege. „Wir sind durch einen groben Fehler in Rückstand geraten und dann statt mit 0:2 mit 0:4 in die Pause gegangen, da war das Spiel natürlich gelaufen“.
Für Frankfurts Trainer war es fast ein gewollter Fehlstart ins neue Jahr. Magath arbeitet perspektivisch, mittel- bis langfristig soll der seinen Fähigkeiten entsprechende große Coup gelingen. Da ist es wichtig, das schnell zu Größenwahn neigende Umfeld in Frankfurt auszubremsen. Magath geht eher nach einer Börsen-Strategie vor: mit seinen Aktien absichtlich Verlust einfahren und den dann abschreiben.
Geschickt, Niederlagen billigend in Kauf nehmend, führt Magath hoch begabte Spieler an die Mannschaft heran, zügelt jegliche Erwartungshaltung und holt zusätzlich neue, bereits etablierte Leute, die das Team langfristig verstärken. Der tschechische Nationalverteidiger Karel Rada leitetete gegen Köln zwar nach einer Viertelstunde mit einem Querschläger das 0:1 ein, doch Mittelfelddribbler Thomas Sobotzik weiß: „Rada ist ein sehr erfahrener Spieler und wird uns auf jeden Fall weiterhelfen.“ Auch bei den restlichen Gegentoren, als das Spiel gegen die Kölner Konterkünstler bei einem klaren Rückstand durch Krachts Eigentor, den Treffer von Matthias Scherz, Markus Kurths zweites Tor und Archil Arweladses 5:1 praktisch längst verloren war, sah Rada nicht gerade glücklich aus. „So ein Fehler hat ihm natürlich auch das Selbstvertrauen genommen“, meinte Magath, doch wegstecken wird seine neue Entdeckung die Packung locker: „Bei Karel Rada habe ich da keine Sorgen.“ Auch im Angriff ist Felix ein glücklicher Coup gelungen: der polnische Nationalstürmer Pawel Kryszalowicz markierte in seinem ersten Spiel mit Adler auf der Brust von Beginn an gleich sein erstes Tor zum 1:4.
Kölns Trainer Ewald Lienen ist ebenfalls nicht entgangen, dass sich beim Gegner etwas im Angriff getan hat: „Wir haben zunächst eine sehr stürmische Eintracht gesehen, Frankfurt ist eine sehr starke Mannschaft, vor allem in der Offensive.“ Müßig, zu diskutieren, ob das frühe Gegentor mit Frankfurts bestem Manndecker Alexander Kutschera zu verhindern gewesen wäre. Der zu autoritärem Gehabe neigende Magath leistet sich mit Kutschera eine Privatfehde und verbannte ihn auf die Bank – mit dem umsichtigen aber altersschwachen Petre Hubtschew waren die spielentscheidenden schnellen Kölner Außenstürmer Christian Timm und Scherz eben nicht auszuschalten.
Aber das alles sind Nebenkriegssschauplätze für Felix Magath. Nur seinen Spielern kam die 1:5-Pleite zum Auftakt ein wenig deftig vor. „Die Kölner haben uns heute mehr oder weniger vorgeführt“, erschrak Sobotzik. Aus taktisch-strategischen Gründen wird Magath die Eintracht dieses Jahr wieder als Viertletzter über die Ziellinie gehen lassen. Auch in der nächsten Saison kann das Ziel dann wieder unverdächtig Klassenerhalt lauten. Niemand wird die Eintracht auf der Rechnung haben, wenn sie dann durchstartet und Meister wird.
Eintracht Frankfurt: Nikolov - Hubtschew, Rada, Kracht - Wimmer (36. Branco), Sobotzik, Schur, Gebhardt, Heldt - Yang (76. Fjörtoft), Kryszalowicz 1. FC Köln: Bade - Cullmann, Cichon, Sichone, Keller - Dziwior, Lottner, Springer - Scherz (82. Arweladse), Kurth, TimmZuschauer: 28.100; Tore: 0:1 Kurth (12.), 0:2 Kracht (28./Eigentor), 0:3 Scherz (35.), 0:4 Kurth (40.), 1:4 Kryszalowicz (63.), 1:5 Arweladse (89.)
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen