kabolzschüsse: Auf der Suche nach Berlins randigster Randsportart
Dart
Erinnern Sie sich an ihren ersten Wurf? Wenn sich nun eine Rummelplatz-Silhouette aus ihrem Gedächtnis windet, war er Betrug. Ja, sogar gemein. Der Kirmesbudenscherge hatte die bunten Luftballons bewusst halbherzig aufgeblasen, damit sie nicht so leicht zerplatzten. Die stumpfen Pfeile taten ihr übriges. Prallte der Dart müde vom schier stählernen Ballon ab, erinnerte er Sie als Kind vielleicht an die eigene Fehlbarkeit. Oder Sie schämten sich wegen der Umherstehenden, die sicher dachten: Schau dir diesen dusseligen Sechsjährigen an. Ein Gedanke, der Ihnen durch den Gewinn von neonfarbenen Linealen mit Kaugummi und Geduldsspielen mit Plastikperlen bitter bestätigt wurde.
So etwas ist überwindbar. Denn an jedem Wochenende werfen tausende in der Kneipe an der Ecke auf die runde Scheibe, als müsste der Rummelteufel ständig in psychologischen Racheakten ausgetrieben werden. Der Gewinn besteht aus Bier, das bei einer Niederlage auch selbst geordert werden kann – keine Lineale, keine Plastikperlen, der Genuss ist sicher. Selbst bei höchstem Alkoholpegel bahnen sich die Pfeile noch ihren Weg durch das verrauchte Labyrinth hinein in die 45,7 Zentimeter große Zielscheibe.
Seit der englische Nationalsport in den Siebzigerjahren vom Pub in die Pinte kam, hat immerhin noch niemand berichtet, dass ein Tresenabonnent vom Dart in den Rücken getroffen unfreiwillig seinen Barhocker verließ. Dem widerspricht der ins Wadenbein getroffene Heinz Sehlhoff, seit über dreißig Jahren lieber Beobachter der Berliner Dartszene: „Die werfen ihre Zahnstocher, ich trinke das Zielwasser.“ So wird das Pfeileschleudern auch für ihn zur „besten Synthese aus Sport und Saufen“.
Durchgesetzt hat sich 501 im Double Out. Geworfen wird mit drei Darts von 501 Punkten runter auf die Null, wobei der letzte Wurf in einem doppelt zählenden Segment landen muss. Fehlt einem also ein Zehnerwurf zum Sieg, ist die „Doppelt Fünf“ gefragt. Im „Sport Eck“ auf der Cheruskerstraße bleibt es dabei: Die spezielle Dart-Unfallstatistik fände keine Einträge. Denn hier werfen sich die pfeilschleudernden Robin Hoods vom Dart-Team Die Reifen Berlin seit zwölf Jahren zielsicher die Finger wund. Nicht auf elektronische Scheiben, denn sie können ja rechnen. Ihr Vereinsname „Die Reifen“ war das Dankeschön an den damaligen 2. Vorsitzenden, der als reifenhändlerischer Hauptsponsor das gemeinsame Pfeilen möglich machte. 1988 entwickelte sich der Klub aus der deutsch-amerikanischen Spielgemeinschaft Darts Extraordinar. Die machte 1987 von sich reden, als sie ein Ferndart-Turnier gegen den White Lions Club aus dem britischen Swadlincote organisierte – und via Telefon nur knapp verlor.
Zur Zeit sind Die Reifen Dritter der Ersten Liga des Dart-Verbandes Berlin-Brandenburg (DVBB), weil sie zuletzt die Neuköllner Clansmen ausstachen. In deren Vereinslokal „Lakeside“ geht es am kommenden Samstag ab 15.30 Uhr auf der Oberlandstraße wiederum um die DVBB-Rangliste. Laut dieser ist Thomas Granz von den Vikings 1 zur Zeit Berlins bester Einzel-Steeldarter. Vorsicht also, wenn Sie des Nachts ein Mann namens Thomas Granz zu einem finanzträchtigen Pfeilvergleich herausfordert, besonders im Schöneberger „Café Breslau“. Denn dort hängt seine Heimscheibe – und sein Verbündeter, Jörg Goga, derzeit Drittbester der Stadt, knetet sich bereits die Hände warm, um Sie an Ihre ersten Wurfversuche zu erinnern.
GERD DEMBOWSKI
Auf der Außenseiterskala von null bis zwölf: 1 Punkt
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