: Zu viel journalistische Unabhängigkeit
Der Chef des Reuters-Büro in Teheran und seine Frau, eine britische Korrespondentin, fliehen aus dem Iran
Am Wochenende verließen zwei der führenden ausländischen Korrespondenten hastig die Islamische Republik – aus Angst. Zuvor hatten ihnen die iranischen Behörden mit Strafverfolgung gedroht. Der Grund: Der Chef des Teheraner Büros der britischen Nachrichtenagentur Reuters, Jonathan Lyons, und seine Ehefrau, die Korrespondentin des britischen Guardian und des in Paris produzierten englischsprachigen International Herald Tribune, Geneive Abdo, hatten heimlich ein Interview mit dem inhaftierten Reformer und Publizisten Akbar Gandschi geführt.
Gandschi war Mitte Januar von einem Revolutionsgericht zu zehn Jahren Haft verurteilt worden, angeblich wegen seiner Teilnahme an einer Konferenz der Berliner Heinrich-Böll-Stiftung zum Reformprozess in Iran. Er war bei der iranischen Justiz jedoch schon lange vorher in Ungnade gefallen. In Zeitungsartikeln und einem Buch enthüllte er die Verwicklungen hochrangiger Mitglieder des Staatsapparates in die Mordserie an Intellektuellen Ende 1998. Abdo und Lyons schmuggelten einen Fragenkatalog zu Gandschi ins Gefängnis, den dieser auch bereitwillig ausfüllte. Die beiden veröffentlichten das Interview nicht im Wortlaut, sondern in einem mit vielen Zitaten angereicherten Fließtext. In der Guardian-Version warnt Gandschi darin vor einer möglichen sozialen Explosion, falls das konservative islamische Establishment weiterhin seinen theologischen „Faschismus“ praktiziere.
Am Montag schrieb Abdo im Guardian, zuerst hätten Freunde und Verwandte Gandschis sie beschuldigt, dessen Zitate „absichtlich verdreht“ zu haben Dann hieß es aus der Abteilung für Ausländische Presse des „Ministeriums für Kultur und religiöse Führung“, es sei illegal, einen politischen Gefangenen zu interviewen, die beiden Korrespondenten würden sich dafür verantworten müssen. Der BBC sagte Abdo: „Wir wurden sowohl verbal als auch schriftlich von den Behörden bedroht.“ Reuters habe daraufhin beschlossen, ihren Mann abzuziehen, und sie sei ebenfalls abgereist.
Eine Wiedereinreise würde den beiden verweigert, berichtete die staatliche iranische Nachrichtenagentur IRNA. Abdo und Lyons lebten seit 1998 als US-Staatsbürger in Iran. Sie sind seit der Wahl des reformorientierten Präsidenten Mohammad Chatami vor fast vier Jahren die ersten ausländischen Journalisten, die das Land verlassen mussten. Die Affäre ist um so verwunderlicher, weil das „Ministerium für Kultur und Religiöse Führung“ als Bastion der Reformer gilt, als vehementer Verfechter der Pressefreiheit. Aber Abdo hatte sich in den zurückliegenden Monaten durch gut recherchierte Beiträge nicht nur Freunde gemacht. Einerseits interviewte sie heimlich den unter Hausarrest stehenden Staatskritiker Großajatollah Montazeri, andererseits griff sie den Teheraner BBC-Korrespondeten wegen seiner „einseitigen“ – sprich iranfeindlichen – Berichterstattung an. Den Behörden war das anscheinend zu viel der Unabhängigkeit. Einen Monat vor ihrer eiligen Abreise habe sie ein hochrangiger Iraner angerufen, sagt Abdo. „Keine weiteren Scoops!“, habe er gefordert. THOMAS DREGER
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