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Mit dem Auge und dem Apparat

In der Reihe „Neue Deutsche Filme“ zeigt die Berlinale für internationale Märkte und nationale Liebhaber einen Querschnitt durch die hiesige Kinoproduktion. Heimat liegt dabei zwischen Sachsen und dem Kongo, Eierlikör und Eislimonade in Hanoi

von THOMAS WINKLER

Die Reihe mag „Neue deutsche Filme“ heißen, aber internationaler geht es kaum: In „Dreckfresser“ zeichnet eine nigerianische Filmstudentin das Leben eines Sachsen mit Vater aus Gabun auf, der in der DDR Polizist wird und aus der BRD nach Paris und in den Kongo fliehen muss. „Elefanten“ beobachtet afrikanische Tiere im Wiener Zoo. „Fluss der Zeit“ folgt einem schottischen Künstler nach Kanada, Frankreich und in die USA. Oder „Milch und Honig aus Rotfront“: Geschichten aus einem deutschstämmigen Dorf am Fuße des Himalaya, das dereinst in der Sowjetunion lag und nun in Kirgisien, aber in den letzten Jahren mehr als die Hälfte seiner Einwohner an das Weserbergland verloren hat.

„Neue deutsche Filme“ besteht aus zwei Teilen: Um Journalisten und vor allem Verleihern aus dem Ausland die Möglichkeit zu geben, sich einen Überblick über den aktuellen Stand der deutschen Filmwirtschaft zu geben, stellt Heinz Badewitz, Leiter der Hofer Filmtage, jedes Jahr 20 Filme zusammen, von denen die meisten im vergangenen Jahr zumindest schon in Deutschland verliehen wurden. In diesem Jahr zum Beispiel „Crazy“, „Die Unberührbare“ oder „Der Krieger und die Kaiserin“, aber auch Filme, die sogar noch aktuell in den Kinos laufen wie „Gripsholm“ und „alaska.de“. Die Vorstellungen sind ausschließlich akkredierten Festivalbesuchern vorbehalten.

„Wenn man so will“, sagt der designierte Forums-Leiter Christoph Terhechte, „sind das staatlich geförderte Marktvorführungen. Sinn der Sache ist, die Filme verkaufen zu können“. Der Sinn des zweiten, auch dem normalen Publikum zugänglichen Teils ist ein etwas anderer. Die zehn Filme, die im Rahmen des Forums laufen und auch von dessen sechsköpfigen Auswahlkommission ausgesucht werden, sollen erst einmal „ein Leben, ein Publikum“ bekommen, so Terhechte. „Erst in zweiter Linie interessiert, ob sie kommerziell erfolgreich sein können.“ Vor allem sind dies Dokumentarfilme, die quer zum Mainstream verlaufen. „Politische Themen sind wichtig, aber nicht so didaktisch aufbereitet wie bei Fernsehdokumentationen.“

Die beiden Spielfilme sind in diesem Jahr Abschlussfilme von Filmstudentinnen: „Salamander“ von Barbara Gebler ist ein schneller, knapp inszenierter Großstadtkrimi, der Elemente des Mainstream-Kinos adaptiert und sie souverän in die nächtlichen Straßen Berlins transportiert. In Valeska Grisebachs „Mein Stern“ dagegen besteht die Hauptstadt aus den Mietskasernen Ostberlins und trostlosen Bolzplätzen, wo die minderjährigen Protagonisten die Zeit bis zum Erwachsenwerden mit Rauchen und Rumsitzen verbringen. Die Eltern sind entweder bei der Nachtschicht oder gar nicht vorhanden. Eierlikör aus der Hausbar und Knutschen auf der Polstergarnitur – die Liebe ist ein seltsamer Zustand, der mit schlichten Floskeln eingeleitet wird: „Würdest du mit mir gehen?“ – „Ja, warum nicht?“ Manchmal befällt die Vierzehnjährigen auch unendliches Schweigen. Mit seiner sperrigen, unspektakulären Bildsprache wird es „Mein Sern“ schwer haben, ins Kino zu kommen. Wie die meisten der Dokumentarfilme.

So wendet sich das Programm neben kleinen, unabhängige Verleihern auch an Mitarbeiter der Goethe-Institute und andere Organisatoren nichtkommerzieller. „Es macht schon was aus, ob ein Film in der Reihe läuft“, sagt Terhechte, „davon hängt auch oft ab, ob er auf anderen Festivals angenommen wird.“

„Dreckfresser“ zum Beispiel erzählt die Geschichte von Sam Meffire, dem schwarzen sächsischen Polizisten, der zum Posterboy für eine Multikulti-Kampagne und zum engen Freund von Innenminister Heinz Eggert aufstieg, bevor er schließlich im Gefängnis landete. „Gerade solche Filme“, sagt Terhechte, „müssen im Ausland gesehen werden, das ist doch wichtig.“

Aber auch der Zuspruch in Berlin nimmt zu. Das Publikum ist interessiert, aber in der Zukunft könnten die Filme ausgehen: „Im Low-Budget-Bereich“, erzählt Terhechte, „findet zunehmend mehr auf Video statt.“ Aber nur wenige der verschiedenen Videoformate können gezeigt werden, da die Technik zu oft wechselt und in den Kinos nicht immer wieder ersetzt werden kann. So besteht man fürs Festival darauf, dass die digitalen Bänder ebenso wie 16-mm-Filme auf 35 mm aufgeblasen werden. „Mal sehen, wie lange wir das noch durchhalten können. Wir werden die Entwicklung ja nicht aufhalten können“, meint Terhechte, „aber man muss sie ja auch nicht verstärken.“

„Neue deutsche Filme“ – in der Reihe wird Deutschland und Deutsches nicht nur in der Heimat reflektiert, sondern auch in fernen Ländern. Manchmal sogar in Vietnam: In „Eislimonade für Hong Li“ fährt eine Rikscha durch Hanoi. Auf einem riesigen Schild steht „Sans-Souci“. Darauf werden Fotos durch die Gegend gefahren, die der Fotograf Thomas Billhardt 30 Jahre zuvor dort während des Vietnamkrieges gemacht hatte. Auf diese Weise hofft er, manche der Abgebildeten wieder zu finden. Als er einige schließlich wirklich wieder trifft, befällt ihn eine seltsam melancholische Stimmung. Sein letzter Satz im Film: „Das ist der Blick des Fotografen: das Leben nur mit den Augen sehen und mit dem Fotoapparat.“

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