: Joschka kam, der Minister ging
Publikumsmagnet Joschka Fischer als Helfer im Frankfurter Kommunalwahlkampf – ein Heimspiel mit leichten Entfremdungstendenzen. Der einstige Straßenkämpfer handelt in seiner Heimatstadt lieber die Weltpolitik ab
von HEIDE PLATEN
Dichte Menschentrauben, kaum ein Durchkommen für Passanten und Fahrgäste. In der Halle des Frankfurter Südbahnhofs drängten sich gestern Abend schon zwei Stunden vor Beginn die ersten Neugierigen, Fans und Freunde. „Kommt da ein Filmstar?“, fragten Jugendliche angesichts des Kameraaufgebots. Nein, Joseph Martin Fischer hat sich zum Heimspiel angesagt.
Der Straßenkämpfer als Kommunalwahlkämpfer, das lockt auch viele junge Menschen an. Zufällig Vorbeikommende reihen sich in die Schlange ein: „Den wollen wir auch mal sehen.“ Drinnen im „Musik-Lokal“ ist kaum noch Platz zum Stehen, Beifall, heftig, rhythmisch. Fischer betritt das Podium, Blau in Blau, Anzug, Hemd, Krawatte. Die Vergangenheit, die 68er, Fischer als Demonstrant, Steinewerfer, Gewalttäter, das interessiert kaum noch jemanden im Saal. Sie werden abgehakt unter Applaus, nichts Neues.
Publikum und Bundesaußenminister sind einig wie selten. Kaum Zwischenrufe. Diejenigen, die ihm früher gerade in seiner Heimatstadt das Leben sauer gemacht haben, sind nicht gekommen oder draußen geblieben. Die einstige Parteikollegin Jutta Ditfurth, im Kommunalwahlkampf Spitzenkandidatin der Liste „ÖkoLinx“, verteilt Flugblätter gegen Fischer und die Grünen, die „äußerst gefährlichen Gegner“ für „alle antimilitaristisch und pazifistisch denkenden Humanisten“.
Also diesmal keine Proteste drinnen, Fischer wird nur durch Beifall unterbrochen. Der rechnet mit der CDU ab, nennt die Kampagne gegen seine Person ein Ablenkungsmanöver vom Spendenskandal und die 68er Revolte zum wiederholten Mal „eine Freiheitsrevolte“. Auseinandersetzung mit der Gewalt, Selbstkritik habe die Sponti-Szene ebenso wie die Grünen längst geleistet – auch ohne Mithilfe der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel und des „ach so gedächtnisstarken“ hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch. Und Fischer bricht eine Lanze für jene politischen Gegner aus alten Zeiten, die auch im Saal sind und klatschen: Die kommunistischen Splittergruppen hätten sich, das möge man ihnen bitte zugute halten, in den frühen 70er-Jahren mit dem Stalinismus auseinander und für Dissidenten in Osteuropa eingesetzt: „Ich finde es einfach nicht korrekt, wenn das ausgeblendet wird.“
Fischer bekennt Schwäche. Über die Frankfurter Kommunalpolitik weiß er nicht mehr viel zu sagen, zu lange ist er zu weit fortgewesen. Er will sich nicht einmischen, „nicht in den Bembel hüpfen und andere mit Apfelwein bespritzen“. Dafür steht die grüne Schuldezernentin Jutta Ebeling auf dem Podium, heißt Fischer „willkommen daheim“. Mit rauchiger Stimme schmettert sie das Nein ihrer Partei zum Flughafenausbau in den Saal. Das freut die Basis.
Ebeling tritt gegen die amtierende Oberbürgermeisterin Petra Roth (CDU) und den blassen SPDler Joachim Vandreike an. Ein Achtungserfolg ist ihr nach jüngsten Umfragen sicher. Er könnte durchaus über dem Kommunalwahlergebnis von 16,9 Prozent liegen, das die Grünen 1997 erreichten. Ebeling schüttelt die weiße Haarmähne, lacht, ist energisch, schön. Und diesmal doch nur Vorprogramm: „Joschka, dein Auftritt!“
Der Außenminister handelt die großen weltpolitischen Themen ab: BSE-Krise, Flüchtlings- und Einwanderungspolitik, Minderheitenschutz, Öko-Steuer, Europa. Da wirkt Frankfurt auf einmal wie die restliche Provinz. Er eilt in seinem Redetext voran. Das Publikum hängt an seinen Lippen, lacht an den richtigen Stellen. Toll, sagen die neuen Gäste, „etwas langweilig“, nörgeln die alten Freunde. Bis der Sicherheitsdienst den Redefluss unterbricht. In der Garderobe piepst ein schwarzer Aktenkoffer. „Wir haben ein Sicherheitsproblem“, sagt der Saalordner. „Ich weiß ja nicht, was da tickt“, sagt der Außenminister, die Gefahr fest im Blick, und fährt mit seinem Vortrag fort. Der Handy-Besitzer schleicht sich errötend.
Fischer lobt Renate Künast. Sie habe durchaus das Zeug, ihn als beliebtesten Bundespolitiker zu überflügeln. Er unterstützt Umweltminister Jürgen Trittin und nimmt die Basis in Sachen Atommüll ins Gebet. Die Castor-Transporte werden mit oder ohne Proteste rollen: „Am Zwischenlager wird kein Weg vorbeiführen.“ Zum Schluss Selbstlob: „Wir haben mehr erreicht, als ich mir selbst zugetraut habe.“ Dann rascher Abgang mit Winken, keine Fragen. „Joschka kommt!“, stand auf den Plakaten, zu Besuch war wohl doch der Außenminister.
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