H.G.Hollein: Last & List
Die Frau, mit der ich lebe, verliert allmählich das Vertrauen in mich. Zumindest in meine handwerklichen Fähigkeiten. Nachdem uns innerhalb von fünf Wochen das zweite Bücherregal aus der Wand gebrochen ist, will die Gefährtin meinen Erstaunensbekundungen à la „Also, das ist mir jetzt aber ein Rätsel“ nicht mehr so recht folgen. Vermutet sie doch, dass die Ursache jener misslichen Begebnisse nicht in der Bröseligkeit unserer Wände zu suchen ist, sondern in meinem Unvermögen als Bohrer und Dübler. Nun habe ich nie behauptet, der Treffsichers-te zu sein, wenn es darum geht, einer Wand die Perforation mit einem „Achter“-Bohrkern anzutragen, und wer wüsste besser als ich, dass mein Hantieren mit Wasserwaage und Lot in drei Metern Höhe alles andere als haltbare Fixpunkte produziert. Aber tut nichts: „Das macht der Mann!“ hieß es stets unerbittlich. Wer war ich, dem zu widersprechen? Und jetzt kommt die Gefährtin daher und verlangt auf einmal statisch saubere Lösungen! Augenmaß, Intuition und ein ordentlicher Schuss Optimismus haben schließlich schon ganz andere meiner Konstruktionen die Zeitläufte überdauern lassen. So wird die Kleiderstange in unserer Kammer von einer – auch ästhetisch überzeugenden – Reihe von Kanthölzern getragen, deren Standfestigkeit ihrerseits auf dem akkumulierten Gewicht von Mänteln, Hosen und schweren Jacken beruht. Zugegeben, es bedarf einer gewissen Feinfühligeit, um das eine oder andere Kleidungsstück zu entnehmen, ohne verschüttet zu werden. Da trifft es sich in der Tat gut, dass die Gefährtin sich ihre Garderobe ganz gern vorlegen lässt. Aber ich schweife ab. Standregale sollen her. „Was Ordentliches“ eben. Das heißt Mühe, und das heißt Kosten, und ich scheue beides. Darum habe ich erstmal begonnen, die betroffene Büchersektion hochkant zu stapeln und die Regalbretter nur noch als zwischengelegte, optische Gliederungselemente zu verwenden. Schade eigentlich, dass die Gefährin so gar keinen Sinn für die Spontaneität des Unpraktischen hat.
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