: Der griechische Patient
Über drei Jahre lang soll im Vorfeld des Sportspektakel-Jahres 2004 auch eine Kulturolympiade in Athen und Umgebung stattfinden. Drei Milliarden Mark soll das kosten, so genannte Umwegfinanzierungen einbegriffen
Athen soll aus seinem kulturellen Halbschlaf erwachen: Die Olympischen Spiele 2004 konnten nach Griechenland gezogen werden. Im Vorfeld des gewaltigen und gewinnträchtigen Sportspektakels wird – und gleich über einen Zeitraum von drei vollen Jahren – eine Kulturolympiade inszeniert, die nach dem Willen der Organisatoren weit mehr ist als nur „Supplement“: In Griechenland, der „Wiege der Demokratie und der abendländischen Kultur“, soll etwas von den „authentischen Werten“ der antiken Olympischen Spiele zurückgewonnen werden.
Davon gab die Uraufführung des „Prometheus“ von Robert Wilson in der Megaron-Halle einen Vorgeschmack. Aus Textfragmenten von Aischylos sowie Aristophanes und aus dem kompositorischen Lebenswerk des 1947 nach Frankreich geflohenen Widerstandskämpfers Jannis Xenakis montierte der texanische Theatermagier neues Mythentheater. Da zeigte sich die Befreiung des Prometheus durch Herkules als bildprächtiger, medienspektakulärer Auftakt. Kurz vor seinem Tod in Paris erreichte Xenakis die Nachricht vom späten Triumph seines Werkes in der alten Heimat.
Mit grenzüberschreitenden Aktivitäten möchte sich ein modernes, dynamisches, europäisches Land präsentieren. Von seinen besten Seiten, umfassend und flächendeckend. Die global message lautet: „For a culture of civilizations.“ Ins Bewusstsein gehoben wird „Universalität der Zivilisation“ unter den Gesichtspunkten Chronos/Zeit, Topos/Ort und Logos/Wort. Das sind fürwahr drei weite Felder – und alle zusammen noch verbunden durch eine „Brücke zum Frieden“.
Für diesen Hyperlink, diesen höchsten Gesamtzweck der Kultur der Kulturen, wurden hochtönende Strukturkonzepte und ein Masterplan geschmiedet, der alle Museen des Landes, alle Filmfestivals, sämtliche Theater, Orchester, Musikverbände, Tanzschulen und Folkloreeinrichtungen „vernetzt“.
All diese Institutionen und Körperschaften werden nicht nur aktiviert, sondern hyperaktiviert. Einbezogen werden soll auch die Diaspora, die Emigranten und irgendwie die ganze Welt. Zumindest auf der Ebene der Vermarktung der Events im Mutterland der Olympiade und der Fernsehrechte; verstärkt im Internet, mit einer großen Lotterie. Gerade auch auf der Ebene der Finanzierung darf sich die große, weite Welt vielfältig beteiligen – und vornan die Europäische Gemeinschaft, die gewiss etwas tun muss und will für ihre unterentwickelten Ränder. Man gönnt es ihnen von Herzen!
Mit „viel Geld, wirklich viel Geld“ soll, wie der augenblicklich zuständige Minister Venezelos jetzt bekannt gab, ein Dutzend neuer großer Preise gestiftet werden: für Literatur und Musik, Kunst und Architektur, Theater und neue Visuelle Künste, Tanz und Umwelt, für philosophisches und politisches Denken, Friedensstiften und „Kooperation“; sogar für Gold-, Silber- und Bronzemedaillen für Sport- und Kulturjournalismus. Für Schön-, Schnell- oder Gesundschreiben?
Viel Geld heißt drei Milliarden Mark, und das ist nun wirklich viel Geld für Strukturmaßnahmen und Events, Werbung und „Umwegfinanzierung“, die die Pläne als Finanzbedarf nennen. En detail ist noch keineswegs klar, was in welcher Höhe woher kommt – da ist Handel und Wandel in vollem Gang. Die Oberschicht von Athen befindet sich schon jetzt, was Wunder, bei guter Laune, und ein Kaffee in der Athener Innenstadt ist kaum unter umgerechnet acht Mark zu bekommen. Das Kulturministerium hat bereits 40 Milliarden Drachmen (240 Mio. Mark) in die Haushaltspläne eingestellt.
Bleibt also nur noch zu klären, wo die fehlenden 2 3/4 Milliarden Mark herkommen. Der Teufel, auch der griechische, steckt bekanntlich im Detail. Zu fürchten bleibt, dass dieser Geldberg, der nach dem imposanten Auftakt mit Wilson künstlerisch nur Mäuslein gebiert, uns in den nächsten Jahren noch erheblich beschäftigen wird.
FRIEDER REININGHAUS
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen