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Ein einmaliges Experiment

Präzisionsarbeit ist gefordert, wenn die Überreste der 140 Tonnen schweren russischen Raumstation wie vorgesehen in den Südpazifik stürzen sollen. Nicht alles wird in der Atmosphäre verglühen. Bis zu 700 Kilogramm können einzelne Trümmerteile wiegen, die auf die Erde niedergehen werden

Wenn die Mir – wie bislang vorgesehen – irgendwann in der ersten Märzhälfte kontrolliert abstürzt, wird das ein ebenso einmaliges Experiment sein wie viele andere, die vorher auf der Raumstation stattfanden: Noch nie zuvor in der Raumfahrt musste ein 140 Tonnen großes Stück aus einer Erdumlaufbahn heruntergeholt werden.

Idealerweise sollen die Reste der Mir in ein riesiges Seegebiet im Südpazifik stürzen, dass um einen Punkt 4.000 Kilometer westlich von Neuseeland und 4.000 Kilometer südöstlich der Osterinsel liegt – eine der verlassensten und landfernsten Gegenden der Erde, in das gewöhnlich größere Raumfahrzeuge oder Satelliten gelenkt werden, die nicht vollständig in der Atmosphäre verglühen.

Da die Mir allein nicht manovrierfähig ist, muss der Abstieg mit Hilfe eines Versorgungsschiffes ausgeführt werden, das mit seinen Triebwerken gegen die Flugrichtung der Raumstation bremst und sie in Richtung Erdoberfläche drückt. Ab einer Höhe von etwa 80 Kilometern verglühen dann die meisten Teile der Raumstation. Experten erwarten jedoch, dass Stücke von bis zu 700 Kilogramm und insgesamt 40 Tonnen der Station ins Meer stürzen.

Da nur begrenzt Treibstoff für das Absturzmanöver zur Verfügung steht, muss die Mir zunächst durch eigenen Höhenverlust (derzeit etwa 750 Meter täglich) in eine etwa 200 bis 225 Kilometer hohe Umlaufbahn absinken, erst dann kann das Versorgungsschiff die Station in mehreren Schüben abbremsen. Die Kunst für die Experten der Bodenkontrolle besteht darin, den von der Absturzstelle weit entfernten Punkt zu treffen, an dem die Triebwerke des Versorgungsschiffes gezündet werden müssen, damit die Station in ihr Zielgebiet stürzt. Exakt berechenbar ist die Absturzkurve nicht. Bei ihr spielt die Form der Station ebenso eine Rolle wie die atmosphärischen Bedingungen zur Absturzzeit. Unterlaufen der Bodenkontrolle geringe Fehler, liegt der Absturzort möglicherweise tausende Kilometer entfernt vom Zielgebiet – über bewohnten Gebieten. Doch selbst wenn ihr keine Fehler unterlaufen, können nicht verglühte Teile immer noch außerhalb des Zielgebietes einschlagen.

Präzedenzfälle gefährlicher Abstürze gibt es. Die 85 Tonnen schwere US-Raumstation Skylab stürzte 1979 über Westaustralien ab, nachdem sie zuvor jahrelang um die Erde getrudelt war. 1991 ging die 20 Tonnen schwere russische Raumstation Saljut 7 nach einem missglückten Absturzmanöver über Argentinien nieder, wobei Kleinteile auch in bewohntem Gebiet 400 Kilometer nordöstlich von Buenos Aires einschlugen. KENO VERSECK

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