Gastkommentar: Spielräume ausloten
■ Warum das schleswig-holsteinische Innenministerium den direkten Dialog mit Flüchtlingsinitiativen sucht
Asylbewerber als Bittsteller? Von gestressten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern kommunaler Verwaltungen schnell abgefertigt ohne auf den individuellen Fall einzugehen? Gerichte, die den Begriff der politischen Verfolgung immer enger auslegen? Unterstützer, die massiv auf Gerichte und Behörden einwirken und den Willen des Gesetzgebers als Grundlage von Entscheidungen nicht akzeptieren?
Urteile und Vorurteile von Menschen, die in der Flüchtlingsarbeit tätig sind. In verschiedener Weise: Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter einer Ausländer-, Gesundheits- oder Sozialbehörde, Richterinnen oder Richter, im Ministerium Tätige oder Mitglieder einer Flüchtlingsinitiative, einem Unterstützerkreis vor Ort. Sie haben des Öfteren miteinander zu tun und wissen wenig voneinander. Seit zwei Jahren versucht das Innenministerium gemeinsam mit in der Flüchtlingsarbeit tätigen Organisationen wie dem Flüchtlingsrat oder Refugio die in der Arbeit Tätigen an einen Tisch zu holen um über die verschieden Sichtweisen, die Erfahrungen, Wünsche und Perspektiven zu sprechen, nicht übereinander sondern miteinander. Denn bei der praktischen Umsetzung des Ausländerrechts treten immer wieder Fälle in das öffentliche Blickfeld, die von Gerichten, Behörden, Politik und Unterstützergruppen sehr kontrovers beurteilt werden. Man wird sich in vielen Fällen nicht in der Bewertung eines Falles und des Verfahrens einig werden. Aber das Gespräch kann Brücken bauen, Spielräume ausloten und jedenfalls Verständnis für die Sichtweisen und Argumente anderer wecken.
Häufig kreisen Konflikte um kranke Menschen, die kein Aufenthaltsrecht in Deutschland be-kommen können, weil die Rechtsgrundlage fehlt. Traumatisierte Flüchtlinge gehören zu den Fällen, über die besonders verbissen gestritten wird. Es wird nicht nur rechtlich, sondern auch ethisch und moralisch argumentiert. Emotionen kochen hoch. Gerichte und Verwaltungen müssen auf einer sachlich konstruktiven Ebene handeln und entscheiden.
Mit der Fachtagung über den Umgang mit traumatisierten Flüchtlingen wurde versucht, die Gesprächskultur der gegenseitigen Akzeptanz und des Zuhörens zu intensivieren.
Es wird nicht die letzte Veranstaltung sein, die Behörden, Flüchtlingsorganisationen, Kirchen, Entscheider beim Bundesamt, Juristen und Mediziner an einen Tisch bringt, um über den Einzelfall hinweg gegenseitig zu informieren und Verbesserungsvorschläge zu diskutieren.
Norbert Scharbach
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen