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Bei Arafat und Minztee

aus Frankfurt am Main HEIDE PLATEN

Ein Studentenwohnheim in Universitätsnähe 1969, die Jahreszeit ist vergessen. Hier aber trifft sich regelmäßig die Mitgliederversammlung des Frankfurter Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS). Meist ist der Bundesvorstand des bundesweit in Auflösung begriffenen Verbandes – Sitz Frankfurt am Main – mit dabei. Die traditionell moskautreuen SDS-Verbände, unter anderem in Bonn, sind ausgeschlossen. Die „APO-Kader“ stehen zur Disposition. Man orientiert sich außerhalb der Universität neu. Hier, im kargen Ambiente, scheidet der SDS sanft dahin und gleitet über in die Betriebsprojektgruppe (BPG), die dessen Nachlass verwaltet. Später wird aus ihr der „Revolutionäre Kampf“ (RK) entstehen, der in Fabriken und Stadtteile gehen und dem auch Joschka Fischer angehören wird.

Er ist auch an diesem Tag schon da, ein junger Mann, mit 21 „gerade volljährig“. Der war damals, erinnert sich der Teilnehmer B., „ein Niemand“, unbekannt, aufgefallen nur „mit ein bis zwei ganz klugen Redebeiträgen“ bei der Schulung des SDS-Theoretikers Hans-Jürgen Krahl. Die SDS-Bundesvorstände waren theoretisch versiert, weltgewandt und als gewählte Sprecher der studentischen Außerparlamentarischen Opposition (APO) viel gereist in diplomatischer Mission, eingeladen von Studenten- und Befreiungsbewegungen: Paris, Rom, Jordanien, Israel, die USA. Im Zentrum des Engagements standen damals jedoch noch nicht so sehr der Nahe Osten, sondern Afrika und Lateinamerika.

Die Theorie fehlt

Die palästinensischen Gruppen sind nach dem Juni-Krieg 1967 erst dabei, sich zu formieren. Die Bedeutung der PLO ist noch gering. Integrationsfigur und Agitator zugleich ist der Führer der Al-Fatah, Jassir Arafat. Die Zerschlagung der palästinensischen Stützpunkte in Jordanien im September 1970 steht noch bevor. Die spektakulären Flugzeugentführungen und der Anschlag der Fatah-Organisation „Schwarzer September“ auf die Olympiade 1972 in München sind noch böse Zukunft. Der SDS interessiert sich für die Al-Fatah, mehr aber für die kleine, eher intellektuelle Demokratische Volksfront zur Befreiung Palästinas (FPDLP). In Westeuropa gibt es kaum Literatur. Das wenige stammt von studentischen Organisationen aus Israel und Palästina. Im August 1969 reist eine Gruppe des Aachener, Heidelberger und Frankfurter SDS durch Jordanien. Fischer ist nicht dabei. Erste Informationen über Fatah und FPDLP werden in einem dünnen, vierseitigen Papier zusammengefasst. B. sagt dazu: „Das war damals die theoretische Grundlage. Mehr hatten wir nicht.“

Zu einer Reise zum Al-Fatah-Kongress nach Algier – „ich glaube, das war auf Einladung der algerischen Regierung“ – hatte in Frankfurt keiner so recht Lust. In Frankfurt meldete sich nur das Mitglied des letzten Bundesvorstandes, Udo Knapp, freiwillig: „Der fühlte sich immer irgendwie verantwortlich.“ Die Tickets waren bezahlt, eines noch übrig: „Es wurde regelrecht damit rumgewedelt.“ Der junge Mann hob zaghaft den Finger. B.: „Der wollte gerne reisen, hatte aber kein Geld.“

Ähnlich erinnert sich auch Delegationsleiter Knapp: „Ich habe den Fischer damals gar nicht wahrgenommen.“ Herbert Röttgen aus München sei als Experte für die Dritte Welt „wegen seiner Kompetenz“ mitgereist, ebenso der Berliner Wolfgang Schwiedrzik. Und was war mit Fischer? Der war, sagen Knapp und Schwiedrzik übereinstimmend, „einfach da“. Knapp schrieb schon Mitte Februar im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) über die Reise: „Das Gedächtnis formt die Erinnerung. Das Gedächtnis wählt aus, entlastet, je nach Notwendigkeit und Belieben.“ Er erinnert sich weniger an die Tagung, die unangenehm und langweilig gewesen sei, als an die Ausflüge der deutschen Delegierten in die Kasbah von Algier. Seine Bereitschaft zur Teilnahme an der Reise sei eher durch die Lektüre von Albert Camus bestimmt gewesen als durch Sympathie für die Fatah: „Algier hatte gewissermaßen mythische Qualität.“

Untergebracht waren sie in einem maroden, aber romantischen Hotel am Meer. Die meisten Teilnehmer der Konferenz seien Araber und Afrikaner gewesen, die deutsche Delegation habe nichts zu sagen gehabt, sich eher als Teil der internationalen Staffage gefühlt: „Wir haben die Konferenz so oft wie möglich verlassen und sind trotz Warnungen in der Kasbah gewesen.“ Springbrunnen in schattigen Innenhöfen, Minztee bei den Familien arabischer Studenten, Düfte und Farben sind ihm im Gedächtnis geblieben, nicht aber der zukünftige Außenminister Fischer.

Heute mag Knapp am liebsten gar nichts mehr davon hören, ist die Befragungen leid, weil, seine Erfahrung der letzten Wochen, Antworten doch immer nur „verdreht werden, egal, was man sagt“. Aber: „Wir müssen uns unserer Geschichte nicht schämen! Wir haben uns nichts vorzuwerfen und müssen uns nicht verstecken!“ Man solle, meint er, „endlich damit aufhören“. Knapp, damals schon Kommunismuskritiker, wehrt sich dennoch vehement gegen den Vorwurf des linken Antisemitismus und bricht eine Lanze für Fischer, der ihm eigentlich erst ab 1973 richtig aufgefallen sei. Man möge damals und auch später bei den Grünen nicht immer einer Meinung gewesen sein: „Aber da war er nun wirklich schon immer auf der richtigen Seite.“ Arafats martialisches Auftreten habe ihn, sagt Knapp, damals „einfach angewidert“.

Bürokratie und Huldigung

Knapp selbst erinnert sich nicht mehr an seinen obligatorischen Bericht nach der Rückkehr der Delegation. Wer den damals erstattet habe, weiß auch B. nicht mehr, wohl aber aber sei ihm der Inhalt noch gegenwärtig: „Ich war darauf neugierig.“ Eine helle Freude sei die Reise wohl wirklich nicht gewesen. Die palästinensischen Funktionäre seien „mit dicken Knarren im Hosenbund aufgetreten“: „Eine Gemengelage zwischen unendlicher Bürokratie und unangemessener Huldigung für Arafat.“ Das deckt sich mit anderen Reiseberichten – auch in die kommunistischen Nachbarstaaten. Frankfurter Spontis galten dort immer als schwierige Gäste: Abweichler mit Kommunismuskritik im Gepäck, mit unbotmäßigen, peinlichen Fragen, Verstößen gegen die realsozialistische Kleiderordnung, antiautoritärem Verweigern der Rituale.

An eines erinnert sich Knapp jedoch noch ganz genau: „Wir haben eigentlich alle nichts verstanden.“ Das damalige Schulenglisch habe einfach nicht ausgereicht. Seine eigenen Sprachkentnisse seien damals nur rudimentär gewesen und die des Schulabbrechers Fischer vermutlich noch schlechter: „Da versteht man doch gar nichts!“ Auch das habe zur Langeweile beigetragen.

Der Spiegel hatte in dieser Woche Fotos von der Tagung veröffentlicht, die im Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz gesammelt worden sind. Sie stammen von der verstorbenen mehrfach preisgekrönten Frankfurter Fotografin Abisag Tüllmann und zeigen die deutsche Delegation sowohl von vorne als auch von hinten. Die blonde Frau zwischen den vier Männern, erinnert sich Knapp, sei eher die Ausnahme in der Delegation gewesen. In Frankfurt, sagen auch andere Zeitgenossen noch heute bissig, habe Inge Presser den Spitznamen „Palästinenser-Inge“ gehabt: „Die ist damals schon in Ohnmacht gefallen, wenn der Arafat sie nur angesehen hat.“ Bei näherer Bildbetrachtung ist zu erkennen, dass sie nur eine der beiden Personen in der deutschen Reihe ist, die – von hinten betrachtet – die Faust reckt. Fischer hat den Platz gewechselt, das Jackett abgelegt und winkelt den linken Arm etwas linkisch nach oben. Knapp erinnert sich allerdings, dass die Deutschen, bis auf Presser, dies bei allzu martialischen Auftritten und auch bei der Schlussresolution des Kongresses verweigert hätten. Das sei damals ein Affront gewesen.

Manchmal, so Knapp, hätten sie in Algier auch geklatscht. An den Grund für den Beifall auf einem dritten Spiegel-Foto erinnert er sich nicht mehr: „Wie auch!“ Aber: „Als ob niemand weiß, wie es damals bei Russenkonferenzen zugegangen ist. Da standen alle alle fünf Minuten auf und klatschten. Wir konnten ja nicht immer sitzen bleiben.“

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