: Ein Lied von Wiederkehr
■ Acht ehemalige Seemänner verbringen ihr „Leben danach“ in den Räumen der Bremer Seemannsmission im Faulenquartier – und sind ganz zufrieden mit ihrem Land-Domizil
Direkt am Eingangsbereich sitzt Heinz, dunkelblau gestriegelt, in Bügelfaltenhosen und dreht sich eher unbeholfen eine Zigarrette. Geraucht wird hier ständig – und zwar selbstgedreht oder zumindest ohne Filter. Eigentlich wohnt er schon seit zwei Jahren nicht mehr in der Mission. Nach der Renovierung war ihm die Miete zu teuer und außerdem „fühlt man sich jetzt wie auf dem Präsentierteller“. Tatsächlich erinnert der helle, modern eingerichtete Raum eher an eine Jugendherberge als an ein Heim für gestrandete Seemänner. Trotzdem kommt er fast täglich hier her. Mit zusammengekniffenen Lippen und hochgezogenen Brauen schimpft er auf Gott und die Welt. Ein schönes Leben hat er wahrlich nicht gehabt. Mit vierzehn ging er zum ersten Mal zur See, zwar gegen den Willen seiner Eltern, doch die hatten den Krieg nicht überlebt. Bis Mitte der Siebziger Jahre verbrachte er die meiste Zeit auf den Weltmeeren. Zwischen vereisten Segeln im Ausguck konnte er keine Abenteuerlust mehr verspüren. Auch von der großen weiten Welt hat er nicht besonders viel mitbekommen. Obwohl die Besatzung früher während des Löschens der Waren mehrere Tage im Hafen blieb, reichten Zeit und Geld oft nicht für große Entdeckungstouren. Mehr als die Hafenspelunken samt ihrer Amüsierdamen hat er nicht kennengelernt. Eine Familie konnte er da nicht aufbauen. Von Träumen sei nicht viel geblieben, sagt er und lacht verbittert. Aber wenn er jetzt richtig viel Geld hätte, würde er nach Australien schippern. Notfalls auch im Container oder Ballon. In einer Nußschale würde er durch die Tropen ziehen und ab und zu mal einen kleinen Bückling abfischen.
„Ein Seemann kennt kein Heimweh – nur Fernweh!“ weiß auch sein österreichischer Mitbewohner Jürgen. Breitbeinig, die Hände in den Taschen steht er mitten im Raum und schwärmt von der großen Freiheit auf See. Sein Gesicht ist ein einziges Grinsen und den Lachfalten, die es durchfurchen, nach zu urteilen, war das auch nie anders. 30 Jahre hat er als Elektriker an Deck gearbeitet. Die schlechten Dinge dabei hat er alle vergessen. Viel lieber erzählt er davon wie er seine Jeans bei acht Knoten im Fahrwasser gewaschen hat und wie wichtig es ist, immer spontan zu sein und an nichts zu hängen. Auch er würde lieber heute als morgen auf die Südhalbkugel aufbrechen. Neuseeland heißt sein Traum, denn hier „können sie uns nicht leben lassen, wie wir wollen.“
Zwischen einem Becher Kaffee bei der morgendlichen Zeitung und einem kalten Bierchen beim Billard oder Kicker läßt sich nicht nur herrlich Seemannsgarn spinnen, auch Kochrezepte finden hier reges Interesse. Kochen können die Seemänner alle, wenn ihre Küche auch eher der deftigen Art ist. Sie haben gelernt zu improvisieren und zu experimentieren. Ein perfekter Ansprechpartner ist Klaus, der 30 Jahre als Koch an Bord geabeitet hat. Da lernt man, wie man aus nichts ein Essen zaubert. „Hinter einem guten Schiffskoch fliegen keine Möwen“ sagt er stolz. Als er einberufen wurde heuerte er einfach auf dem nächstbesten Schiff in Bremerhaven an und dort blieb er solange bis sie ihn nicht mehr wollten. Mit rauchiger Stimme berichtet er von seinen Reisen. Den skeptischen Blicken von Heinz trotzend, schwärmt er von „atlantic language“, einer Mischung aus ostfriesisch und englisch, und der großen Freiheit, die er auf See empfunden hat. Doch auch seine Familie hat dies nicht unbeschadet überstanden. „Wenn Du nach Hause kommst, bist Du Onkel.“ Jetzt sind die Seemänner seine Familie. Hier fühlt sich keiner angegriffen, wenn der Ton etwas rauher wird oder die Themen in eine vulgäre Richtung abdriften. Oft ist man in den selben Häfen gewesen, kennt die selben Kapitäne oder sogar Prostituierten. „Wir Seefahrer sind Gemeinschaft gewöhnt“, sagt er und scheint sie dabei förmlich zu umarmen.
Auch Ernst in seinem Weihnachtshemd scheint sich hier wohl zu fühlen. Deutlich jünger als der Rest der Mannschaft, hat er derzeit sogar Hoffnung auf einen Job in einem Café. Ausziehen wird er dann trotzdem nicht. Warum auch? Hier hat er sein Zimmer mit Kochnische, Bad und Fernseher, und immer ist jemand da, mit dem man eine Tasse schnacken kann.
Ein wenig abseits sitzen zwei kleine, dunkelhaarige Männer. Auch sie sind noch im seetüchtigen Alter und warten eigentlich nur auf die nächste Heuer. Enrique aus Chile macht das schon seit zwei Jahren. Dennoch bereut er nicht, dass er, anstatt mit 15 zu heiraten, dem Ruf der See gefolgt ist. „El mundo es pequeño“ – die Welt ist so klein – sagt er mit Blick in die Ferne. Immer wieder treffe man die selben Menschen. Wenn einem an einem Engpass plötzlich der Kapitän zuwinkt, dann weiß man wieder, dass man nur auf See zuhause ist. Dabei hat die Liebe keinen Platz. Freundinnen hat er viele, aber eine Beziehung schon lange nicht mehr.
Manch einer, der hier täglich herkommt, ist eigentlich gar kein Seemann. Einer davon ist Fritz, pensionierter Industriedesigner aus der Nachbarschaft. Die lichten Haare über dem Scheitel zusammen gespitzt betritt er mit Schirm über dem Arm den Saal. Er hat sich sein Studium durch gelegentlich auch längere Einsätze an Bord verdient, und so richtig losgekommen ist er davon nie. Die erste Amtshandlung als Industriedesigner war, sich ein Boot zu kaufen. Und auch heute bezeichnet er die ungefähr vier Jahre, die er auf See verbracht hat, als hart aber glücklich. Man hatte schließlich alles was man brauchte um sich herum, brauchte sich nicht um Essen, Arbeitsweg oder anderes zu sorgen. So erklärt er sich auch, dass viele Seemänner an Land nicht so richtig zurechtkommen. „Es gibt so eine Hassliebe zwischen dem Schiff und einem selbst“, die Arbeit an Bord ist hart, und man verflucht sie oft, trotzdem kann er die hier lebenden Männer gut verstehen. Denn so unterschiedlich sie selbst und ihre Bilder von der Seefahrt auch sind, einig sind sie sich dennoch in einem Punkt: Auf See hat sich einiges zum Negativen verändert, und leicht war es auch früher nicht. Freiwillig hat keiner von ihnen den Beruf an den Nagel gehängt, und die meisten würden sofort wieder losmachen, wenn sich nur die Gelegenheit böte. Verena von Ondarza
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