piwik no script img

Blasen zwischen den Zehen

Die Katastrophe mit dem Bockshornklee – ein Bericht aus der Zukunft der Nahrung

Damals, als noch hie und da Vieh auf Bauernhöfen gehalten wurde, muss es wohl passiert sein. Eine von Gülle getränkte Weide, umgepflügt zur Bockshornkleeplantage, brachte den Erreger in die Pflanze. Der Boden für das, was uns später in so unvermuteter Gestalt entgegentrat, war bereitet. Erste Spuren des Bockshornkleefiebers (BHK) waren bereits durch die Nahrungskette zum Menschen gelangt, als man noch Rinder, Schweine und Schafe zu himmelhohen Scheiterhaufen türmte, Bauern mit Transparenten ums brennende Kalb tanzten und Metzgereien zu verfluchten Orten wurden.

Trigonella foenum-graecum, der Bockshornklee, war eine weit verbreitete fingerlange, gelb blühende Pflanze. Seit dem Altertum wurde er in der Tierheilkunde verwendet und als Pferdefutterpflanze kultiviert. Gerade von diesem Grundsympathen aus der alteingesessenen Kräuterriege hätte man es am wenigsten vermutet!

Nach den Kadaverkatastrophen der Landwirtschaft lautete die Devise in der Ernährung: Vegan glücklich! Butter, Milch, Joghurt, Käse und Eier gehörten einer archaischen Vergangenheit an. Sojaknackwurst, Seitan Kassler Art und Tofu Gyros Infernale eroberten die Speisekarten. Doch Reis- und Gen-Sojamilch im Kaffee flockten bereits übel aus. Der Normalverbraucher verblasste zusehends, trank viel Wasser. Jetzt rächte sich die Gier nach den Exoten, das Verschmähen von heimischen Kartoffeln und Getreide, von nitratreichem Salat und ordinären Rüben. Fast alles Heimische war schon ausgestorben. Was sollte man noch essen? Schon bald zogen die Preise auf dem Weltmarkt an. Das asiatisch-amerikanische Sojamonopol war anscheinend nicht mehr zu knacken. Die europäische Wissenschaft erforschte fieberhaft das verbliebene Pflanzenspektrum auf der Suche nach einem effizienten Alleskönner und entdeckte den ohnehin schon ins Kraut geschossenen Bockshornklee. Das alte, scheinbar unverfälscht-edle Gewächs, das die verwaisten Weiden selbsttätig überzogen hatte, wurde zum Retter der Nahrungsmittelproduktion, leicht genimprägniert, versteht sich.

Und heute? Die gelbweiße Sojagefahr ist zwar gebannt. Doch der alte Drehwurm ist nicht tot. BHK grassiert schleichend seit Jahren schon. Blasen zwischen den Zehen, entzündetes Zahnfleisch, bloßliegende Zahnhälse, unsicheres Gehen, der Schüttelreflex, die Schreckhaftigkeit bei leichten Genickschlägen und das Zusammenzucken bei blitzartiger Beleuchtung – das waren untrügliche erste Anzeichen. Zittern wir nicht stärker beim Aufnehmen der Nachrichten, drücken wir uns nicht furchtsamer um die vernünftige Kommunikation? Selbst unser Speichelfluss nimmt ungeahnte Ausmaße an. Was werden die künftigen Symptome sein? Grundlose Beschuldigungen? Verrohung der politischen Sitten? Stöbern in alten Fotoalben? Wir wagen keine Prognose, spüren aber: Es wird fürchterlich. TOM WOLF

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen