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Der Tanz der Vampire

Beim 0:1 gegen Frankreich bekommen die deutschen Kicker vorgeführt, wie guter Fußball geht, können den Klauen des überlegenen Gegners aber ohne größere seelische Blessuren entkommen

von MATTI LIESKE

Als Fußballspiel war die Partie Frankreich gegen Deutschland im Stade de France von St. Denis ursprünglich deklariert, als Lehrstunde ging das Ganze dann über die Bühne. Was DFB-Teamchef Rudi Völler nach dem glimpflichen 0:1 auch artig einräumte: „Es war für einige ein Spiel, wo man sich ein bisschen was abgucken konnte.“ Die etwas direkter Beteiligten waren sichtlich froh, ohne das befürchtete „Abschlachten“ (Völler) davongekommen zu sein. Man habe sich „ganz gut aus der Affäre gezogen“, befand Abwehrspieler Christian Wörns, eine Wortwahl, die auch sein ganz persönliches Verhältnis zum Trikot der Gegenspieler Nicolas Anelka und Thierry Henry widerspiegelte.

Gegen einen Kontrahenten, bei dem einige Akteure, Candela etwa, oder Dugarry, kaum laufen konnten vor lauter Hochnäsigkeit, funktionierte die Einigelungstaktik weitgehend unfallfrei, auch wenn die Partie genauso gut 0:5 wie 0:0 hätte ausgehen können. Klar war nur, dass die Deutschen kein Tor schießen würden. Die beste Chance war ein drei Meter am Pfosten vorbeirauschender Schuss von Jancker nach überraschend brillanter Einzelaktion. Ansonsten war der zunächst einzige deutsche Stürmer weitgehend damit beschäftigt, sich vom dribbelfreudigen Keeper Fabien Barthez veräppeln zu lassen.

Zum Glück für die germanischen Gäste interessierten sich die Spieler des Welt- und Europameisters weit mehr dafür, ihre fußballerische Überlegenheit vorzuführen, als ernsthaft einen Torerfolg anzustreben. Das genügte jedoch, um dem in der WM-Qualifikation bisher so erfolgreichen DFB-Team recht deutlich die Grenzen aufzuzeigen. Diese verlaufen ziemlich genau zwischen rückwärts gewandtem Fußball und vorwärts gewandtem Fußball, sowohl in historischer als auch räumlicher Hinsicht. Wenn die Franzosen den Ball hatten, schafften sie es meistens auch, sich bis in die Nähe des deutschen Strafraums zu kombinieren – es sei denn, sie fielen dem bevorzugten spielerischen Mittel der Deutschen zum Opfer, dem gröblichen Mittelfeldfoul. Vor allem Hamann und Ballack traten herzhaft nach jeder dargebotenen Wade.

Hatten die deutschen Akteure den Ball, knüpften sie nahtlos an die Europameisterschaft an, wo sie von allen Teams den längsten Ballbesitz, aber die wenigsten Torchancen hatten. Kreuz, quer und zurück wurde die Kugel geschoben, so als müsse man in Frankreich nach Rugby-Regeln kicken und Pässe nach vorn wären strengstens untersagt. Bevorzugte Anspielstationen waren Torhüter Oliver Kahn oder das Seitenaus, was bei einem verwöhnten Publikum, das blindes Ballwegschlagen auch dann als Attentat auf die Fußballkunst empfindet, wenn es in höchster Not geschieht, gar nicht gut ankam und für spöttische Pfiffe sorgte.

Wenn jemand mal versuchte, die Doktrin der Destruktion zu durchbrechen, ging es gleich schief – so wie bei Michael Ballack in der 27. Minute. Als der Leverkusener von Hamann in bedrängter Situation den Ball zugespielt bekam, reagierte er gleichsam französisch und suchte den Doppelpass. Doch Hamann war im Glauben, die Sache sei für ihn erledigt, längst dahin gelaufen, wo er nicht mehr anspielbar war, Bayerns Sagnol konnte dazwischensprinten und die Flanke zum technisch perfekt vollendeten 1:0 von Zinedine Zidane liefern.

Der Rest erinnerte stark an das Menuett in Roman Polanskis Film „Tanz der Vampire“. Die einen vollführten elegant, aber ohne übergroße Hast die vorgeschriebenen Schritte, ließen hin und wieder die Reißzähne blitzen, versäumten es aber, den entscheidenden Biss anzubringen, und gingen mit ihren Möglichkeiten, dies zu tun, viel zu schlampig um. Die anderen tapsten nach besten Kräften und Fähigkeiten umher, versuchten, nicht unangenehm aufzufallen, und waren am Ende froh, ohne gravierende Blessuren an Leib und Seele das Weite suchen zu können.

Und das Beste an der Sache: Bis 2006 brauchen sie nicht wieder zu kommen, wenn sie nicht unbedingt wollen.

Frankreich: Barthez - Sagnol (60. Lizarazu), Leboeuf, Desailly (73. Silvestre), Candela - Vieira, Petit, Dugarry - Zidane (83. Makelele) - Wiltord (54. Pires), Anelka (60. Henry)Deutschland: Kahn - Wörns, Jeremies, Linke - Rehmer (81. Frings), Ramelow, Hamann (46. Neuville), Ballack, Bode (90. Ziege) - Scholl - Jancker (67. Bierhoff)Zuschauer: 80.000;Tore: 1:0 Zidane (27.)

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