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„Erst mal war ich furchtbar traurig“

Islamische Gemeinde in Deutschland: Aufruhr gegen Glaubensschwestern wegen taz-Artikel. Interviewmit den betroffenen Frauen, Rabia Müller und Fatma Sagir, vom Zentrum für islamische Frauenforschung

taz: In dem taz-Artikel haben Sie davon gesprochen, wie Frauen und Mädchen in Deutschland unter dem Islambild leiden, das die Familie und viele Moscheen ihnen vermitteln. Ihre Aussagen haben heftige Reaktionen in einigen muslimischen Kreisen ausgelöst. Was ist vorgefallen?

Rabia Müller: Ich habe telefonische Drohungen bekommen. Einer hat geschimpft, ich sei vom Islam abgefallen und solche Leute wie mich sollten vernichtet werden, weil sie den Islam vernichten. Ein anderer drohte, dass sie dafür sorgen würden, dass eine Fatwa gegen mich vollstreckt wird. Und meine zwei erwachsenen Söhne wurden in einer Moschee außerhalb von Köln auf mich angesprochen mit der Frage, was für eine Mutter sie hätten. Und es gab Ärger im Dachverband muslimischer Frauenorganisationen, zu dem auch das ZIF [Zentrum für islamische Frauenforschung] gehört. Einige Frauen aus dem Vorstand haben eine Mail an alle Mitglieder geschickt und gefordert, dass wir uns von dem Artikel in der taz distanzieren.

Was war der Vorwurf?

Rabia Müller: Der Vorwurf war, dass ich mich mit den Aussagen im Artikel über den Koran stelle. Damit beschuldigen sie mich der Apostasie. Die Damen haben gesagt, dass sie nichts mit Schwestern zu tun haben wollten, die denken, sie seien besser als der Koran.

Fatma Sagir: Das heißt, sie halten sich für konform mit dem Koran, und wir sind nicht konform.

Rabia Müller: Wir haben dann auch mit einer Rundmail geantwortet und gefordert, dass das Procedere, das der Koran für Streite festlegt, eingehalten wird. Dort ist festgelegt, dass man sich bei Meinungsverschiedenheiten zusammensetzen muss. Wir tun das im ZIF auch. Nicht alle Frauen vertreten dort die gleiche Meinung wie ich, aber die Dinge werden ausdiskutiert und wir können auch unterschiedliche Meinungen nebeneinander stehen lassen. Anscheinend haben sie angenommen, wir hätten uns damit vom Artikel distanziert, was nicht der Fall ist. Wir kritisierten noch mal die Art und Weise der Auseinandersetzung. Dann haben sie offiziell jeden Kotakt mit uns eingestellt. Aber hinter den Kulissen liefen weitere Versuche, mich zur Räson zu bringen. Sie kritisierten beispielsweise, dass ich den Begriff „feministische Theologie“ benutzt habe.

Fatma Sagir: An diesen Reaktionen kann man sehen, dass bei den Muslimen die Diskussionskultur sehr schwach ausgebildet ist. Sie können nicht richtig mit Konflikten umgehen. Wenn zwei verschiedene Meinungen aufeinander prallen, wird in Gut und Böse eingeteilt. Es gibt nicht die Bereitschaft, eine andere Meinung stehen zu lassen. Dieses Bewusstsein ist nicht da.

taz: In dem Artikel haben Sie unter anderem von den gleichen Rechten von Frau und Mann beim Erbrecht gesprochen. Was stört die Muslime, die Sie angegriffen haben, so sehr daran?

Rabia Müller: Was ich gesagt habe, entspricht nicht mehr der traditionellen Form. Wir haben uns unsere eigenen Gedanken gemacht. Wir haben keine Gelehrte aus früheren Jahrhunderten zu Rate gezogen. Das heißt aber nicht, dass wir sie nicht gelesen haben. Ich nehme den Koran wörtlich, wenn er sagt: Denkt darüber nach. Und sie glauben, wir hätten dem Westen etwas abgeguckt. Aber wir erheben mit unseren Gedanken keinen Absolutheitsanspruch. Wir sind gerne bereit, darüber zu diskutieren.

Fatma Sagir: Ich denke, sie haben ein Problem damit, dass wir diese Aussagen in der Öffentlichkeit gemacht haben. Wir haben einige Missstände angesprochen, z. B. in welcher Situation sich Frauen befinden. Die meisten Muslime sagen, man soll das nicht gegenüber Nichtmuslimen äußern, das wäre so etwas wie Verrat. Das hat sie wohl gestört.

taz: Wie haben Sie dich gefühlt nach diesen Reaktionen von muslimischer Seite?

Rabia Müller: Erst mal war ich furchtbar traurig, dann erschrocken. Ich fand es deprimierend. Vor allem weil alles so indirekt ablief. Keiner hat mit mir offen darüber gesprochen. Ich kam mir ausgestoßen vor. Aber dann habe ich mir gedacht: Als Muslim kann man nicht vom Islam ausgestoßen werden. Das gibt es nicht. INTERVIEW: MONA NAGGAR

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