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Traveller auf Traumpfaden

Umrisse eines Schreibnomaden: Nicolas Shakespeare hat die erste Biografie über Bruce Chatwin geschrieben. Der war unbestritten ein großer Reisender, konnte als Gast aber ganz schön nerven

von JÜRGEN BERGER

Anfang der Achtzigerjahre reiste Bruce Chatwin in der australischen Einöde der Northern Territories. Er recherchierte für die „Traumpfade“, war 42 Jahre alt und in einem Zustand, den man als zufrieden beschreiben kann. Ein für ihn eher seltener Zustand. Sein dritter Roman, „Auf dem schwarzen Berg“, war gerade erschienen und zum Teil hymnisch rezensiert worden. Chatwin war auf dem vorläufigen Höhepunkt seines Autorenlebens angelangt. Wie ein Getriebener hatte er alle Kontinente bereist und wirkte selbst wie ein Schreibkontinent, der mit jeder neuen Publikation eine andere Klimazone seiner selbst präsentierte. Obwohl seit Erscheinen seines Erstlings, „In Patagonien“, erst sechs Jahre vergangen waren, hatte er sich bereits als Schriftsteller durchgesetzt. Mit den „Traumpfaden“ sollte er 1987 zum Bestsellerautor avancieren.

Anfang der Achtzigerjahre hatte er auch schon sehr unterschiedliche Lebensstadien durchlaufen. Was da alles zusammenkam, wird in der ersten Chatwin-Biografie deutlich. Geschrieben hat sie Nicolas Shakespeare, der selbst Schriftsteller ist und seit 1989 (Chatwins Todesjahr) drei Romane veröffentlicht hat. Shakespeare kannte Chatwin persönlich, erhielt als Erster Einblick in dessen Reisenotizbücher, stand vor der schwierigen Aufgabe, Chatwins weitweit hinterlassene Spuren zu bündeln, und wird sich über ein voluminöses Reisebudget gefreut haben.

Wer den Lebensweg eines manisch Reisenden wie Chatwin nachvollziehen will, muss selbst viel reisen. Also war Shakespeare in Afrika, Zentralasien, Patagonien, Australien, den USA und England unterwegs. Er besuchte all diejenigen, bei denen Chatwin gelebt hatte und die sich an ihn bis heute oft mit eher gemischten Gefühlen erinnern: Chatwin, so der Tenor, kam zur Tür herein und war der Ansicht, ab jetzt existiere im Raum nur noch einer – er selbst. Von Chatwin distanzierte man sich oder man war fasziniert. War man fasziniert, geriet man sehr schnell in die Rolle des Gastgebers.

Shakespeare ist kein philologischer Biograf und frönt auch nicht der Unart, psychologische Knoten zwischen Leben und Werk zu knüpfen. Aber er arbeitet häufig mit O-Tönen von Freunden, Bekannten, Kritikern und Personen der Zeitgeschichte wie Robert Mapplethorpe, Salman Rushdie (mit dem Chatwin in Australien unterwegs war) und dem Wandergefährten im Geiste Werner Herzogs (der Chatwins „Der Vizekönig von Quidah“ verfilmte). Und allmählich entstehen dabei die Umrisse eines Schreibnomaden, der gleichzeitig von Sammelleidenschaft und dem Wunsch nach einem mönchischen Leben getrieben wurde. Chatwin feilte zeit seines Lebens an einer anthropologischen Theorie vom Menschen als nomadischem Wesen – wohl auch zur Erklärung seiner eigenen Antriebe. Dabei raste er aber derart durch das eigene Leben, dass man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, er sei vor dem geflüchtet, was er zu suchen vorgab.

Allein seine Jahre bei Sotheby's, sein rasanter Aufstieg zum Kronprinzen des Londoner Auktionshauses mit all seinen Kontakten zu sammelwütigen VIPs, würde Stoff für eine eigene Chatwin-Saga abgeben. Am Ende seiner ersten Erfolgsstory heiratete Chatwin für alle überraschend die „amerikanische Aristokratin“ Elisabeth Chanler, um kurz darauf genauso überraschend seinen Dienst bei Sotheby's zu quittieren.

Als Chatwin das Auktionshaus verließ, war er Anfang dreißig und avancierte genauso schnell, wie er bei Sotheby's Karriere gemacht hatte, zur Edelfeder der Sunday Times. All das war allerdings nur ein Vorspiel. Mitte der Siebzigerjahre setzte sich Chatwin schon wieder ab und verschwand nach Südamerika. Aus dem Journalistenkokon schlüpfte der Schriftsteller Chatwin; und der sorgte schon mit seinem Erstling, „In Patagonien“, dafür, dass die jahrhundertealte Diskussion über Dichtung und Wahrheit neue Nahrung erhielt.

Chatwins Prosa erweckte faszinierend den Eindruck, er schreibe dokumentarische Sachliteratur. In Wirklichkeit aber kümmerte er sich nicht um Fakten. Was zählte, war die Story und ob Details sich in sein Bild vom nomadischen Menschen fügten. „Die Grenzlinie zwischen Roman und Sachbuch ist meiner Ansicht nach äußerst willkürlich und von den Verlegern erdacht worden“, äußerte Chatwin in einem Interview und kümmerte sich auch weiterhin nicht um diese Grenzlinie. Das Missverständnis, dass ein Teil seiner schnell wachsenden Leserschaft seine Texte als Reise- und Mythenführer missverstand, konnte er nicht verhindern: Mythenselige Traveller nehmen bis heute seine poetischen Mutmaßungen über die Aborigines in den „Traumpfaden“ für bare Münze und wandeln chatwinesk in der australischen Einöde.

Seine Romanentwürfe unterwarf Chatwin so lange einer Entschlackungskur, bis seine Prosa knapp und fast schon spröde wirkte. In seinem Leben ging es weniger spröde zu. Entgegen der Legende vom entbehrungsreich Reisenden pflegte Chatwin nicht selten einen üppigen Lebensstil. Shakesepeare macht das vor allem mittels einer längeren New-York-Episode Ende der Siebzigerjahre deutlich. Da wechselte der nomadische Erotomane Chatwin seine Bettgefährten im Akkord; selbst enge Freunde rätselten, was ihn mit Ehefrau Elisabeth verband. Die schien seine Eskapaden zu dulden, hat aber wohl gelitten. Die Folge war eine mehrjährige Trennung, in der Chatwin weiterhin von der Idee besessen war, der Mensch sei nur in Bewegung, unbehaust und ohne weltliche Güter wirklich glücklich.

Die Konsequenzen allerdings umging Chatwin bei genauerem Hinsehen. Während der Trennungsphase von seiner Frau etwa mietete er ein kleines Apartment in London und gestaltete es wie eine Mönchszelle. Öffnete man die Wandschränke, quoll jedoch alles hervor, was er gesammelt hatte.

Gestorben ist Chatwin im Alter von 49 Jahren. Die Todesursache, so hieß es offiziell, sei ein Virus, den er sich während einer Reise zugezogen hatte. Tatsächlich wurde auch ein seltener Pilz diagnostiziert, der Chatwins innere Organe angriff. Sein Immunsystem brach allerdings zusammen, weil er HIV-positiv war. Ein Befund, den Chatwin sich so vom Leibe hielt, wie er sich zeitlebens die Menschen vom Leibe gehalten hatte. „Er konnte nie lange bleiben, weil er dich ermattet hätte. Man kann kein schönes Feuerwerk sein und ewig leben“, hat eine Freundin kurz nach seinem Tod gesagt.

Nicolas Shakespeare: „Bruce Chatwin. Eine Biographie“. Aus dem Englischen von Anita Krätzer und Bernd Rullkötter. Kindler Verlag, Reinbek 2000, 828 Seiten, 78 DM

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