: „Wir können in der Tat vorsichtig optimistisch sein“
Die Berliner Rechtsanwältin Regina Kalthegener hofft, dass unter Rot-Grün Gewalt gegen Frauen – auch angedrohte – anerkannter Asylgrund wird
taz: Die rot-grüne Regierung hat mit der Änderung einiger Verwaltungsvorschriften dafür gesorgt, dass geschlechtsspezifische Verfolgung künftig ein Abschiebungshindernis sein kann. Welche Auswirkungen hat das in der Praxis?
Regina Kalthegener: Künftig kann eine Frau, die zum Beispiel geltend machen kann, dass in ihrem Land Genitalverstümmelung landesweit toleriert wird, zumindest damit rechnen, dass sie nicht abgeschoben wird. Das heißt, sie bekommt eine Duldung, im Einzelfall möglicherweise auch eine Aufenthaltsbefugnis. Die Formulierung ist allerdings so wenig konkret, dass befürchtet werden muss, dass es deutschlandweit in ähnlichen Fällen zu sehr unterschiedlichen Entscheidungen kommen wird – je nach zuständigem Bundesland oder Gericht. Ausgesprochen bedauerlich ist außerdem, dass geschlechtsspezifische Verfolgung genauso wenig ein Asylgrund ist wie vorher.
Was hätte denn passieren müssen?
Die Koalition hätte frauenspezifische Verfolgungsgründe gleichberechtigt neben politischer Verfolgung als Asylgrund aufnehmen sollen. Das aber ist offenbar politisch nicht gewollt. So hat das Bundesinnenministerium eindeutig mitgeteilt, dass es keinen Schritt tun wird, der den Asylbegriff dahingehend ausweitet, dass auch nichtstaatliche Verfolgung anerkannt werden kann, weil ein „erheblicher Zuwanderungsdruck“ befürchtet wird. Ich halte das für übertrieben.
Warum?
Weil es in der Praxis gar nicht so oft vorkommt, dass eine Frau geschlechtsspezifische Verfolgung geltend macht. Das zeigt im Übrigen auch die Erfahrung jener europäischen Länder wie Luxemburg, Belgien oder Portugal, in denen auch nichtstaatliche Verfolgung laut den Asylbestimmungen ein Recht auf Asyl begründen kann.
Auch in Deutschland gibt es vereinzelt Anerkennungen. Woher stammen die Frauen, die mit ihrem Asylantrag erfolgreich waren?
Meines Wissens zum Beispiel aus China wegen der restriktiven Ein-Kind-Politik. Auch einige Algerierinnen aus Familien von Oppositionellen waren erfolgreich; einige Frauen, die Gefahr liefen, genitalverstümmelt zu werden. Außerdem ist noch der Fall einer verwitweten Afghanin bekannt, die nach ihrer Rückkehr nie mehr alleine das Haus hätte verlassen dürfen.
Was ist mit dem häufigen Fall der Vergewaltigung im Bürgerkrieg, in Haft oder durch die Polizei?
Das war bisher so gut wie aussichtslos. In den einschlägigen Urteilen heißt es immer wieder, Vergewaltigung im Bürgerkrieg müsse hingenommen werden. Wird eine Frau von der Polizei oder von Gefängnisbeamten gefoltert und vergewaltigt, galt das bisher als „Exzess staatlicher Organe“, nicht als gezielte Verfolgung. Auch hier gibt es aber Ausnahmen. So hat eine Rumänin, die in ihrem Dorf vom Bürgermeister vergewaltigt worden war, angesichts der Position des Mannes Asyl erhalten. Es galt als quasistaatlicher Übergriff.
Das Bundesverfassungsgericht hat im letzten Jahr entschieden, dass es auch im Bürgerkrieg möglich ist, dass eine Partei – etwa die Taliban in Afghanistan – quasi staatlich agiert, somit auch Flüchtlinge aus diesen Ländern ein Recht auf Asyl haben können. Zudem hat das Haager Tribunal vor einigen Tagen erstmals Vergewaltigung als Kriegsverbrechen anerkannt. Bewegt sich etwas?
Wir können in der Tat vorsichtig optimistisch sein – auch weil die Öffentlichkeit in den vergangenen Jahren sensibler dafür geworden ist, welchen Torturen Frauen in vielen Weltregionen ausgesetzt sind. Dabei darf aber auch nicht übersehen werden, dass die Frauen- und Menschenrechtsorganisationen das Thema jahrelang forciert haben, bis sich kleine erste Erfolge abzeichneten. Und von Zuständen wie in den USA, Kanada oder Neuseeland, wo geschlechtsspezifische Verfolgung Asyl gewährleistet, sind wir noch weit entfernt.INTERVIEW: JEANNETTE GODDAR
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