: Über die Grenze und in die Berge
Keiner weiß ganz Genaues. Alle fürchten Schlimmes für die nächste Zeit. Ein Bericht aus einem Grenzdorf des Kosovo
DEBELDE taz ■ US-Sergeant Matt Solph von der KFOR-Truppe der Nato hat mit seinen Leuten am Rande des Dorfes Debelde Stellung bezogen. Er ist auf Beobachtungsposten. Hier, im Berggebiet östlich der Stadt Kacanik im Kosovo, soll sich das Zentrum der albanischen Aufständischen befinden, deren wiederholte Angriffe die makedonische Regierung um die Stabilität ihres Landes fürchten lassen. Am Donnerstagabend wurden bei Gosinci makedonische Regierungsvertreter beschossen, die sich ein Bild von der Lage an der Grenze machen wollten. Eine Begleitperson ihres Konvois wurde getötet. Presseagenturen melden, noch gestern sei der Konvoi von albanischen Freischärlern blockiert worden. Hier weiß man nur von Gerüchten, hier beobachtet man, was in Sichtweite der Ferngläser liegt.
„Wir haben nach 19 Uhr ungefähr 40 Personen den Berg dort gegenüber hinaufgehen sehen, sie hatten 20 Pferde und Packpferde dabei“, sagt Matt Solph. „Etwas später, so um 22 Uhr herum, kam es zu einer Schießerei auf der anderen Seite der Grenze, die bis fast 2 Uhr früh angehalten hat.“ Daran waren auch makedonische Truppen beteiligt. Denn es wurde „ mit Mörsern geschossen,“ berichtet Matt Solph, „die Albaner haben solche Waffen nicht“. Handelt es sich bei den Albanern um Kämpfer der UÇK, die nach Makedonien eindringen wollen? Matt Solph bleibt vorsichtig, „wir wissen das nicht, wir haben niemand von denen gesprochen“.
Im Dorf Debelde haben sich viele Menschen auf dem Hauptplatz versammelt, der auch als Schulhof dient. Sie beobachten amerikanische Jeeps, die als Verstärkung eingetroffen sind. Es sind viele Flüchtlinge von der anderen Seite der Grenze auf dem Platz. Hierher sind am 13. Februar 580 Bewohner des auf der makedonischen Seite liegenden Dorfes Tanushec (Tanusevci) geflohen.
Das Dorf drüben sei jetzt praktisch unbewohnt, nur noch eine Familie lebe noch dort, 30 Häuser seien von den makedonischen Granatenangriffen zerstört worden, berichten einige Frauen. Jetzt gingen die Männer wieder zurück und kämpften gegen die Makedonier. „Wie gestern Nacht. Das sind Einheimische, nicht Kämpfer der UÇK, wie behauptet wird“, sagt Braham Asani, der Lehrer von Debelde. „Aus den Dörfern Malina und Brest sind ebenfalls viele Menschen geflohen.“
Der Kampf um Tanushec sei am 4. Februar ausgelöst worden, als ein junger Albaner von makedonischer Polizei erschossen wurde. 32 Einschüsse wurden in seinem Körper gezählt. Daraufhin protestierten die Menschen, erzählt ein Dorfbewohner. Die makedonische Armee hätte an den nächsten Tagen das Dorf beschossen. Erst dann hätten die Albaner sich Waffen besorgt und zurückgeschossen, sagt er. Seither kam es zu mehreren Zwischenfällen. Anfang der Woche wurden drei makedonische Polizisten bei einem Feuerwechsel mit den Aufständischen getötet.
Bisher ist es noch keinem Reporter gelungen, mit den Aufständischen zu sprechen. Berichte, wonach es sich um eine von außen geleitetete Aktion zur Destabilisierung Makedoniens handeln soll, werden von Diplomaten inzwischen skeptisch aufgenommen. Der Chef des deutschen Verbindungsbüros im Kosovo, Michael Schmunk, ist auf dem Dorfplatz in Debelde aufgetaucht. Er möchte sich Informationen aus erster Hand beschaffen, denn auch die albanischen Politiker in Prishtina kennen die Ereignisse nur aus Presseberichten.
Verunsichert wird die Bevölkerung in Debelde zusätzlich durch die Entscheidung der Nato, serbische Truppen in die nur kaum 30 Kilometer entfernte Sicherheitszone Sektor C-Ost (siehe Karte) einrücken zu lassen. Auch Berichte, Anfang der Woche sei in einem serbisch-makedonischen Abkommen ein Stück des Kosovo, nämlich jenes Gebiet, das zwischen dem Dorf Debelde und Tanushec liegt, von Serbien an Makedonien abgetreten worden, verstören die Dorfbewohner zutiefst. Noch ist der exakte Wortlaut des Abkommens unbekannt. Deshalb hat die das Kosovo verwaltende UN-Mission noch nicht darauf reagiert.
Ist es aber völlig unmöglich, dass die Aktionen der makedonischen Armee in diesem Zusammenhang stehen? Und dass andererseits freiwillige ehemalige Kämpfer der UÇK aus dem Kosovo die Dorfbewohner von Tanushec und Malina unterstützen?
Beweise sind dafür bisher hier im Dorf nicht zu finden. Doch die in der rund 100 Kilometer entfernten Kosovo-Hauptstadt Prishtina erscheinende, gewöhnlich gut informierte Zeitung Koha Ditore schreibt am Freitag, die Aktivitäten der albanischen Befreiungsarmee (UÇK) an der makedonischen Grenze würden von Milizenführern organisiert, die im Kosovo gekämpft haben. „Maliq Ndrecaj, Emrush Xhemajli, Ali Ahmeti und Gafurr Elshani sind die Namen, die viel über den Krieg im Kosovo sagen. Zwei Jahre später sind es diese Leute, die hinter dem Abenteuer von Tamushec stecken“.
ERICH RATHFELDER
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