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Mode statt Moderne

Die Zeitschrift „Brigitte“ hat noch nie Trends gesetzt. Aber sie spiegelt vierfarbig und kurzweilig die Geschichte der Frauen in der alten Bundesrepublik

von SABINE VOGEL

Illustrierte setzen keine Trends, sondern sie laufen ihnen hinterher: Stets mit Blick auf die Auflagen bieten die RedakteurInnen ihren LeserInnen das, was diese lesen wollen. So veränderte sich auch die Zeitschrift Brigitte gemeinsam mit ihrem Publikum: Erst Begleiterin der Hausfrau, der Ehefrau und Mutter in den 50er- und 60er-Jahren, dann Freundin der Gleichberechtigung und politische Partizipation fordernde Partnerin in den 70ern und schließlich Unterstützerin der selbstbewussten berufstätigen Frau. Da die Erwartungen der Leserinnen und die Verlagsinteressen stets eng verflochten sind, spiegelt die Illustrierte den Wandel von Idealen und Realitäten einer breiten weiblichen Mittelschicht.

In ihrer Studie „Bitte recht weiblich“ hat Dora Horvath Modefotografie und Textbeiträge der Brigitte zum Thema Liebe und Ehe mit Blick auf die Frauenleitbilder zwischen 1949 und 1982 analysiert. Als Deutungsmuster legt sie ihren Überlegungen – in exakt dieser Formulierung mindestens 30 Mal – „aus krisentheoretisch informierter Perspektive“ einen „elementar krisenhaften sozialen Wandel“ zugrunde, der in einem Dilemma begründet ist: Die Verfassung der Bundesrepublik sichert Männern und Frauen Gleichberechtigung zu. In diesem Selbstverständnis des demokratischen Staats wird allen Bürgern, unabhängig vom Geschlecht, das gleiche Recht auf Bildung und politische Partizipation zugestanden. Dem entgegengesetzt war jedoch im ersten Jahrzehnt nach der Staatsgründung der gesellschaftliche Grundkonsens. Der Platz der Frau war im Haus, als treusorgende Gattin und Mutter. Von Gleichberechtigung nur eine ferne Spur am Horizont. Diese Familienkonstellation war für die bundesrepublikanische Gesellschaft der ersten Jahrzehnte insofern funktional, als sie einen stabilen Rahmen bot, in dem sich Modernisierung und sozialer Wandel verkraften ließ.

In ihrer Analyse der Fotos und Texte aus 33 Jahren Brigitte verfolgt Horvath, wie sich die Frauenrolle in diesem Gegensatz zwischen Gleichheitsversprechen und Geschlechterdifferenz entwickelte. Besonders bei der Betrachtung der Fotostrecken entdeckt sie viele interessante Aspekte. So wird deutlich, dass bis Mitte 60er-Jahre die Moderatgeber explizit einen bestimmten Kleidungsstil propagierten. „Lange Hosen und Stöckelschuhe? Man sieht es oft, und es ist doch ganz unmöglich“, vernahm die Brigitte-Leserin, oder: „Kostümjacke zum Kleid? Zum Kleid gehört eine Strickjacke in einer neutralen Farbe!“ Die RedakteurInnen gaben genaue Anweisungen, was zu welchem Anlass, zu welcher Tageszeit getragen werden durfte und welche Accessoires wie Handschuhe, Schuhe, Hut oder Handtasche dazu passten – und welche nicht.

Die Begeisterung für die Moderne liest Horvath nachvollziehbar aus der schlichten, schnörkellosen Eleganz der Mode der späten 50er-Jahre ab. Risse in der Modernisierungseuphorie macht sie an Rüschenbesatz und Blümchenmuster fest, die seit 1963 die klaren Linien unterbrechen. Mimik und Körperhaltung der Fotomodelle ließen seit 1966 einen Rückzug in Innerlichkeit und Besinnlichkeit erkennen. Zweifel an der Sicherheit der europäischen Funktionalität drücken die Stilzitate aus außereuropäischen Kulturen aus. Sie inspieren die ModeratgeberInnen der Brigitte in den späten 60er-Jahren zu einem „Hippie-Look“. Die grundsätzliche Modernisierungskritik der 70er-Jahre lässt sich demnach an der Trachtenmode und dem Bäuerinnenlook festmachen. Erkennbar wird allerdings auch, dass sich die Lebensentwürfe der Brigitte-Leserinnen gegen Ende des Untersuchungszeitraums differenzieren. Nicht mehr ein dominanter Kleidungsstil wird vorgegeben, sondern verschiedene Stilrichtungen von klassisch-elegant über folkloristisch bis sportlich-lässig werden nebeneinander präsentiert.

Insbesondere in den Artikeln zementiert und reproduziert Brigitte bis zum Ende der 60er-Jahre die bürgerliche Rollenteilung in der Hausfrauenehe. Abweichende Lebensformen, wie etwa die allein stehende Frau oder die ledige Mutter, kommen nicht vor. Und auch die seit Ende der 50er-Jahre von „zornigen jungen Frauen“ formulierte Unzufriedenheit mit ihrer eingeschränkten Rolle sowie der Wunsch nach Entfaltung der eigenen Fähigkeiten wird konsequent zurückgewiesen mit dem Rat: Akzeptiert eure Situation und seht sie positiv. Der Geschlechtscharakter der Frau als Mutter bleibt für die Brigitte-RedakteurInnen einstweilen dominant. Erst Anfang der 70er-Jahre übernimmt Brigitte von ihren Leserinnen die Forderungen der neuen Frauenbewegung. Sie holt die Sexualität aus der Tabuzone, klagt die politische Partizipation von Frauen ein, und die berufstätige Frau verliert – ganz langsam – ihr Rabenmutter-Image. Erst zu Beginn der 80er-Jahre stellt Brigitte schließlich die Rollenfixierung der bürgerlichen Geschlechtscharaktere in Frage.

Das Thema ist spannend, die Bilder und Texte aus der Brigitte sind von hohem Wiedererkennungswert: die LeserInnen von „Bitte recht weiblich“ werden zumindest einen Teil der dargestellten Entwicklung selbst miterlebt haben. Doch die Lektüre des Textes ist mühsam: Die immer gleichen Floskeln umkreisen die Kernthesen eher, als dass sie diese präzise ausdrücken. Bezüge zwischen der empirischen und der interpretierenden Ebene werden mehr behauptet als belegt. So lässt einen etwa folgender Satz eher ratlos: „Starke Farben, auffallende Farbkontraste, gewagtere und größere Muster sowie schwingende Röcke zeugen von einer grundsätzlichen Akzeptanz der gesellschaftlichen Ziele und Perspektiven.“ Ah ja. Die wichtigsten Informationen finden sich bisweilen versteckt in endlosen Fußnoten. Und warum Horvath die soziale Marktwirtschaft mit der Wende von 1982 für beendet erklärt und damit ursächlich die Rolle der Frau in der Bundesrepublik verbunden sein soll, vermag sie nicht zu erklären (außer vielleicht damit, dass die Untersuchung auch ein Ende haben musste).

„Bitte recht weiblich“ aus dem engagierten Programm des Züricher Chronos-Verlags ist zwar eine verdienstvolle Untersuchung. Doch in einem Punkt hätte die Autorin ihre Quelle als Vorbild nehmen sollen: Brigitte serviert ihre Botschaften so leicht lesbar wie möglich.

Dora Horvath: „Bitte recht weiblich! Frauenleitbilder in der deutschen Zeitschrift ‚Brigitte‘ 1949-1982“, 364 S., Chronos Verlag, Zürich 2000. 64 DM

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