: Hitler als Dekor
Ein Berliner versteigert Nazi-Kitsch. Nun steht er wegen des Verdachts der NS-Propaganda vor Gericht. Der Auktionator gibt sich unschuldig
von PHILIPP GESSLER
Ein schlechtes Gewissen – warum denn? „Ich habe kein schlechtes Gewissen“, sagte Jens L., „das sind geschichtliche Zeugnisse. Und ich habe die deutsche Geschichte nicht gemacht.“ Genau genommen waren es ja auch nur drei schlichte Kleidungsstücke, die er in seinem „Berliner Auktionshaus für Geschichte“ in Berlin-Schöneberg versteigern wollte: eine abgetragene Hose, eine Jacke, eine Mütze. Hose und Jacke waren versehen „mit rotem Dreieick (Kommunist)“, wie es im Auktionskatalog hieß: Der Auktionator wollte KZ-Kleidung unter den Hammer bringen.
Das war vor knapp drei Jahren, und ein Aufschrei der Entrüstung ging damals durch die Stadt. Der stellvertretende Vorsitzende der jüdischen Gemeinde zu Berlin, Moische Waks, nannte die geplante Versteigerung eine „Ausgeburt der Geschmacklosigkeit“. Er kritisierte, der Vorgang offenbare ein „unerträgliches Maß an Zynismus“ gegenüber den Opfern des Nationalsozialismus und ihren Nachkommen. Der Auktionator verzichtete auf die Versteigerung der KZ-Kluft: „Wenn ich damit jemanden verletze, dann nehme ich das raus“, sagte er der taz.
Auch gestern hatte der Inhaber des Auktionshauses, spezialisiert auf Militaria, kein schlechtes Gewissen – aber einiges hat sich seitdem geändert. Er hat seinen alten Geburtsnamen wieder angenommen, den er zwischenzeitlich abgelegt hatte. Wichtiger aber: Nun steht Jens W. vor Gericht. Vor dem Amtsgericht Tiergarten wirft ihm die Staatsanwaltschaft das „Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“ vor: Bei einer Durchsuchung seiner Geschäftsräume hatte die Staatsanwaltschaft unter anderem Abzeichen und Gürtelschnallen mit SS-Runen und Hakenkreuzen sichergestellt. Ein Teil der Ware hatte er sich bei einem US-Versand bestellt. Zu Last gelegt wird ihm auch, einen Katalog über seine Versteigerungsgüter mit Objekten aus der NS-Zeit ins Internet gestellt zu haben. Darunter befand sich eine persönliche Standarte Adolf Hitlers, mit Hakenkreuzen versehen.
Ist das Reklame für Nazis? Darum geht es im Kern bei der Verhandlung im Saal 456 – und Jens W., hoch gewachsen, sportlich, braun gebrannt, kann solche Vorwürfe gar nicht verstehen. Er mache „keine Propaganda“, seine Klientel sei „größtenteils“ seriös, betont der smarte Auktionator. Stets vermeidet er dabei Worte wie „Nationalsozialismus“ oder „Nazis“: „Bestimmte Leute“ etwa mit Springerstiefeln würden zu den Versteigerungen nicht zugelassen. Seine Kataloge beschrieben die Objekte aus den Jahren zwischen 1933 und 1945 „rein wissenschaftlich und sachlich“.
Jens W. ist sich seiner Sache vor Gericht offenbar so sicher, dass er seine beiden Anwälte kaum zu Wort kommen lässt. Er versteigere bei seinen vier, fünf Mal jährlich stattfindenden Auktionen jeweils mindestens 7.000 Exponate, hebt er hervor – mit der Handvoll Objekten, die ihn nun vor Gericht gebracht hätten, sei doch keine Propaganda zu treiben. Außerdem: Seine Versteigerungen seien nicht öffentlich. Nur wer einen Katalog habe, komme hinein. Und bei den Katalogen achte er darauf, dass auf ihrer Deckseite nichts „aus dieser Zeit“ zu sehen sei. Was die Käufer dann mit ihren Objekten anfingen, sei nicht mehr seine Sache: So wie ein Messerverkäufer nicht daran schuld sei, wenn jemand sein Messer nicht in der Küche nutze, sondern dafür, einen anderen zu erdolchen. Ein reines Gewissen.
Der Staatsanwalt will sich mit solchen Aussagen nicht zufrieden geben: Er will genau wissen, wie viele Originale und wie viele Reproduktionen Jens W. versteigere. Dahinter steht die Argumentation, dass nur Original-Relikte aus der NS-Zeit den stets betonten wissenschaftlichen Zweck erfüllen können – Kopien dagegen wohl eher propagandastisch genutzt werden könnten. Außerdem fragt die Anklage nach, wie das denn bei ihm zu Hause sei. Dort gebe es doch auch Gemälde von Hitler und Co. Jens W. bestreitet das nicht, aber sagt, dass solche Werke nur einen Teil seiner Sammlung ausmachten: Und auch Honecker- und Stalin-Gemälde gebe es.
Eine Mitarbeiterin des Auktionators, vor allem tätig in einem Sicherheitsdienst, stützt seine Position. Sowohl im Geschäft wie in seiner Wohnung machten NS-Devotionalien nur einen kleinen Teil der Exponate aus. Er mache das doch alles für Sammler- und Forscherzwecke, sagt ihr Chef. Zudem: Unter den Käufern seiner Exponate sei beispielsweise auch die Gedenkstätte des früheren KZ Sachsenhausen. Auch das Holocaust-Museum in Washington habe schon Güter bei ihm ersteigert! Und wenn im Katalog ein Porträt Hitlers als „dekorativ“ beschrieben werde, so sage das bloß eines: Dass der braune Schinken damals zu dekorativen Zwecken gemalt worden sei. So einfach ist das mit dem reinen Gewissen. Am Freitag kommender Woche wird die Verhandlung fortgesetzt.
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